Dienstag, 7. Februar 2017

Anders als erwartet


Ich sehe den Schmetterlingen zu, die von Blüte zu Blüte taumeln, und genieße die Wärme, die mich umhüllt;  zum ersten Mal wohlig und angenehm. Es ist sieben Uhr morgens. Kaum bin ich aus dem Haus, verschwindet die Sonne hinter dicht aufgetürmten Wolkenbergen. Der Himmel ist einheitlich grau, und es beginnt zu regnen, zuerst nur schüchtern. Eine Stunde später gießt es Strömen. Dann scheint wieder die Sonne, heiß wie es sein muss, und Kumuluswolken ziehen in Richtung auf die Berge. Auch der Chor der Zikaden und ihr schwellender Gesang ist zurück, den Regen kurz zum Schweigen brachte. Der Gedanke, dass auch Zikaden keinen Regen mögen, belustigt mich. Mein Gecko ist seit gestern ausgezogen. Nicht alles ist anders geworden, aber vieles mehr, als ich erwartet habe.

Ich gehe zu Fuß nach Peliatan, entlang einer breiten Landstraße, die erst in Denpasar endet. Von der Landschaft, die einst die Straße säumte, ist nichts mehr geblieben. Einen Weg durch die Felder gibt es angeblich nicht mehr. Wieder verdächtige ich die Balinesen. Ich bin mir sicher, dass sie es nicht ertragen können, wenn ich mich nicht erwartungsgemäß verhalte.
Wie Pengosekan ist auch Peliatian inzwischen mit Ubud verwachsen. Die Hauptstraße durch den Ort, die weiter nach Sukawati oder Bedulu führt, ist stark befahren. Läden, einige kleine Warungs, ein Luxushotel und zwei Tempel, säumen meinen Weg. Das Angebot für Touristen endet an der Stadtgrenze von Ubud.

Innovation: Mülltrennung in Ubud

Vor Jahren habe ich einen Monat in Peliatan gewohnt: in Sitis Homestay. In einem Losmen, das Wayan gehört, und nach seiner Frau benannt ist. Ich hätte beide gerne wiedergesehen, neugierig, ob sie sich an mich erinnerten. Ich bin überzeugt, dass sie meine Tochter und meine Schwierigkeiten mit der Einwanderungsbehörde nicht vergessen haben. Ich kann die kleine Pension nicht finden. Es geht mir genauso wie in Ubud: Ich erkenne nichts mehr wieder. Alles ist sehr verändert. Immer häufiger beschleicht mich das Gefühl, noch nie hier gewesen zu sein. Die große Lagerhalle an der zentralen Kreuzung musste einem Tempel weichen. Die Halle war Treffpunkt, ein Ort zum Feiern und für Filmvorführungen. Oft saß ich auf den steinernen Stufen, die an der Wand entlangführten, in lange Gespräche vertieft. Der einst idyllische Spazierweg durch die Reisfelder liegt unter einer stark befahrenen Landstraße nach Pengosekan begraben. Es ist ein weiter Weg durch die Mittagshitze zu Fuß nach Peliatan. Es ist heiß und drückend schwül. Wahrscheinlich habe ich zu früh aufgegeben. Das Homestay gibt es noch, erzählt mir ein Passant.
Alle großen Straßen verlaufen in Südbali von Nord nach Süd, durch die Flusstäler; Ost-West-Verbindungen sind rar, sodass große Umwege erforderlich sind. Seit ein paar Tagen setzt mir ein Fließschnupfen zu. Die vielen Abgase, und der Feinstaub entlang der Straßen, setzt meine Nasenschleimhäute unter Produktionsdruck. In Peliatan sitze ich lange im Schatten der Balai Banjar und höre einem Gamelanorchester bei den Proben zu. Eine virtuose Vorführung am Wegesrand. Auf dem Heimweg entdecke ich am oberen Ende des Affenwalds einen feudalen Supermarkt. Hier gibt alles, was der Gast aus dem Westen von zuhause kennt, und was sein Herz begehrt. Krasse Gegensätze, und sie liegen eng benachbart. Ich kann nicht widerstehen und kaufe einen Tetrapack Apfelsaft. Heute Abend trinke ich Apfelschorle.

Meine Unterkunft ist vergleichsweise einfach, aber ich brauche nicht mehr. Alles ist da: Bett, Dusche, eine Terrasse mit den obligatorischen Bambusmöbeln. Täglich bringt Ketut ein balinesisches Frühstück und reinigt meinen Bungalow. Ich bin umgeben von tropischer Natur und dem Orchester zahlreicher Insekten und Vögel. Die Hähne der Nachbarn wecken mich vor Tagesanbruch, weil sie ihren Schnabel nicht halten können, wenn es dämmert. Alles ist friedlich und ruhig. Es macht mich glücklich und zufrieden mitten in der Natur zu wohnen. Soweit ist alles gut, doch ich muss täglich drei bis vier Kilometer entlang stark befahrener Straßen gehen, um dem zivilisatorischen Wahnsinn des prosperierenden Ubud zu entkommen. Den lokalen Bemoverkehr, der auf Anruf jeden Fahrgast unkompliziert an jedes Ziel brachte, gibt es nicht mehr, seit Ubuds Bevölkerung motorisiert ist. Bali hat nicht nur ein Müllproblem, sondern auch ein Umweltproblem. Was in Ubud wirklich stört, ist die Umwelt.
Ich lege einen Ruhetag ein. Am Nachmittag gehe ich nach Ubud und lasse meine PET-Flaschen auffüllen. Vermeide Plastikmüll, so gut ich kann. Bali zuliebe. Mein Gastgeber kommt vorbei. T-Shirt, kurze Hose, schütteres Haar, Bauchansatz. Nyoman, schätze ich, ist um die fünfzig. Ein korpulenter Mann, den der Tourismus wohlhabend gemacht hat. Er pflegt virtuos den Müßiggang, verbringt den Tag mit Freunden oder Nachbarn im Balé. Ich spüre gleich, dass er etwas von mir will. Er strömt Unbehagen aus, es gibt etwas, das ihn bedrückt. Er gibt vor, den Teich von Blättern zu säubern, aber er tut nur so. Wahrscheinlich will er wissen, was ich heute noch unternehme. Ein Tourist in Bali, der den ganzen Tag im Haus verbringt, ist ihm anscheinend suspekt. Vielleicht störe ich auch nur seine Kreise. Nyoman möchte mir bei irgendetwas behilflich sein, bei dem, was er für Touristen sonst so tut. Er gibt mir Tipps, manchen guten, ist aber enttäuscht, dass ich es auf meine Weise mache, und nicht mit Fahrer oder Scooter. Er beobachtet skeptisch, dass ich noch immer zu Fuß gehe. Er erzählt mir, was sich alles besichtigen lohnt, und was mich der Transport dorthin kostet. Er kann mir das alles viel billiger vermitteln, schlägt er vor, denn außerhalb ist alles teurer. Am bestens ist, vertraut er mir an, wenn ich einen seiner Motorroller miete. Ich bleibe trotzig, und erlaube mir auch skeptisch zu sein. Nyoman fischt noch lustlos ein paar Blätter aus dem Teich, dann zieht er sich entnervt zurück. Er tut mir inzwischen leid, aber ich will meine Reise machen, und nicht die seine.
Ich habe eine Buslinie gefunden, die ich nach Sanur versuchen werde; und auch anderswo hin. Ich habe ein Geschenk von einem Freund dabei, dass ich versprochen habe, vorbeizubringen. Ich entschließe mich spontan, das nicht mehr lange vor mir herzuschieben, und es plötzlich nicht mehr passt. Aber erst Morgen. Wieder ziehen dunkle Wolken auf, aber Nyoman sagt: „Heute regnet es nicht mehr.“ Mal sehen, ob er recht behält. Mein Telefon hat seit gestern eine balinesische SIM Car. Als ich anrufe, hat niemand sein Smartphone zur Hand.
Weiße, wattige Kumulusbewölkung hat die grauen Wolken abgelöst. Zwischen ihnen lugt schüchtern blauer Himmel hindurch. Jetzt schwitze ich wieder, nachdem ich heute Morgen gefroren habe. Es regnet doch, Nyomans Prophezeiung zum Trotz.

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