Sonntag, 12. Februar 2017

Barong - ein Prolog


Ich erinnere mich daran, es heißt, Barong sei eine Abkürzung von beruang, Bär. Banasapati Raja, einer der vier spirituellen Geschwister der Menschen, soll das Vorbild für den Barong gewesen sein. Trotzdem wird in den Informationen für Touristen immer wieder von dem löwenähnlichen Charakter des Barongs gesprochen. Wie dem auch sei: Der Barong ist eine populäre folkloristische Gestalt aus der balinesischen Kultur. Bei Einheimischen wie Besuchern gleichermaßen. Wahrscheinlich ist er sehr alt, ein Fabeltier und vorhinduistisch, denn es gibt ihn auch in anderen asiatischen Kulturen. Das bedeutet: Er ein kollektiver Archetyp asiatischer Kulturen. Freunde von Mythen und Sagen wissen natürlich, dass es sich um ein universelles Symbol handelt. Schillernd und unheimlich verkörpert er je nach kulturellem Umfeld Gutes oder Böses. Die unterschiedlichen Weltkulturen konnten sich darin nicht einig werden. Der Barong jedenfalls erinnert mehr an Fufur, den Glücksdrachen in Michael Ende Unendlicher Geschichte, als an Glaurung, den Drachen in J.R.R. Tolkiens Novelle Túrin Turambar.

Freitag, 10. Februar 2017

Aufs Neue


Ich breche um acht Uhr morgens auf, und bin Stunden unterwegs. Eine Erkundung. Ich halte es drinnen kaum aus. Zu Fuß, zuerst nach Ubud, dann durch die Reisfelder, die Sawahs, und auf Umwegen zurück nach Pengosekan, wo ich mich bei Nyoman und seiner Frau Ketut häuslich niederlassen habe. Njoman ist Maler und Unternehmer. Er malt farbige Bilder in einem naiven balinesischen Stil, der unerreicht berühmten Vorbildern nacheifert, wie sie in den Museen in Ubud ausgestellt sind. Nyoman besitzt ein Grundstück am Sungai Wos, in einem Kampong am Ortsrand von Pengosekan, dass wiederum zu Ubud gehört. Beide sind im europäischen Rentenalter, ihre Kinder haben eigene Familien und Wohnungen. In Bali besteht eine Wohnung aus einem Grundstück und mehreren Gebäuden, die wie Pavillions in einem ausgedehnten Garten liegen. Njomans besitzt ein Grundstück auf dem steileren Ufer des Wos. Es fällt so stark ab, dass Treppen nötig sind, um die Terrassen im zu überqueren. Zwei Pavillions, die Balé heißen, stehen leer, und Nyoman bietet sie auf AIRBNB an. Wir sind zeitgemäß, Nyoman und ich. Elektronische Kommunikation hat uns unkompliziert zusammengebracht. Trotzdem ist Nyoman Balinese und Indonesier. Kleidet sich synkretistisch, indonesisch und westlich. In Tracht habe ich ihn nie gesehen, kann ihn mir auch nicht gut darin vorstellen. Er ist gewohnt, mit Touristen zu verhandeln und zu verkehren. Darin ist er selbstbewusst und kompetent. Ein guter Geschäftsmann, der es seinen Kunden angenehm und leicht machen will. Ketut erlebe ich nur im Hintergrund. Sie ist die Herrscherin der häuslichen Sphäre, der die ich keinen Zugang habe. Mein Kontakt zu Nyoman ist öffentlich. Ketut bringt mit täglich Frühstück in mein Balè - Reis, Früchte und Tee - stellt es mir leise auf den Tisch auf der Veranda. Oft bemerke ich sie kaum. Ketut, traditionell in Sarong und Kebaya gekleidet, bringt ihren Gästen die Grundlagen der Bahasa Indonesia bei. Ich glaube beide sind enttäuscht, dass ich keinen Unterricht nehmen muss, und keinen ihrer Scooter leihe. Sie verstehen nicht, dass ich zu Fuß gehen will. Niemand in Bali, der über finanzielle Mittel verfügt, tut das. Auf keinen Fall Touristen, die die Balinesen reich gemacht haben, sodass nun ihre Autos und Motorräder die Straßen verstopfen. Südbalis Hauptstraßen versinken in einer ununterbrochenen Rush Hour.

Donnerstag, 9. Februar 2017

Gar nicht weihnachtlich



Ich bekomme Weihnachtsgrüße und bin selbst gar nicht weihnachtlich gestimmt. Wenn ich mich richtig erinnere, war ich Weihnachten immer zu Hause - wo auch immer - aber nie allein. Bali! In diesem Jahr ist meine Weihnachtsflucht eine ganz besondere. Heimat ist kein Ort, sondern ein Gefühl, im Herzen oder im Kopf, wo die Gedanken kreisen, wenn das wirklich einen Unterschied macht. Sobald der geographische oder kulturelle Kontext fehlt, bleiben die Gefühle ohnehin aus. Nichts erreicht mich hier, dass sich irgendwie weihnachtlich angefühlt. Nicht der grüne Baum, kein Schmuck, keine Lieder, insbesondere nicht die üblichen Emotionen, die sich trotzdem nicht völlig abstellen lassen. Dazu sind sie zu sehr Kindheit. Für mich gibt es dieses Mal die Tropen als Weihnachtsgeschenk: schwül, heiß und immer wieder regnet es. Die Kerzen würden am Baum schmelzen, und der Baum in Flammen aufgehen, wenn die erste Kerze, weich in den Knien, zur Seite kippt.

Die Affen gibt es noch


Ich gewöhne mich an die unvertraute Umgebung, gehe täglich stundenlang herum, und orientiere mich. Das ist so meine Art. Ich gehe mir meine Welt vertraut. An jedem Ort, bevor ich emotional ankommen kann, muss ich mich zu Fuß mit ihm anfreunden. Ich muss die Atmosphären spüren, die den Ort ausmachen, die Geräusche, Gerüche und das Gesehene zusammenbringen. Vorher fühle ich mich nicht wohl in meiner Haut.
Ich habe den Markt der Früchte und des Gemüses entdeckt, der früher auf dem Platz des Nachtmarkts stattfand. Der viele Tinnef, den die Touristen brauchen, hat ihn an den Rand gedrängt. Der Kunstmarkt, der Pasar Seni in Sukawati, war schon immer so. Jedenfalls seit ich ihn kenne. Anfang der 1980er habe ich dort eine schwarze Hanumanskulptur gekauft. Der weiße Affe aus dem Ramayana steht mit einem Fuß auf dem Kopf eines sich windenden Drachens, aufrecht gestreckt, und die Faust zum Schlag erhoben. Kunstvoll ist das Fell aus dem Holz herausgearbeitet. Die bogenförmige Krone, die mich an einen Irokesenschopf erinnert, und der reich gemusterte Gürtel, den er um die Hüften trägt, sind großartige Holzschnitzkunst. Ebenholz, flüstert der Verkäufer ehrfürchtig. Schwer genug ist die Skulptur, sodass ich ihm glaube, und den hohen Preis bezahle. Nach ein paar Jahren in der Sonne auf meiner Fensterbank, kam unter dem schwarz, hellbraunes Holz zum Vorschein.

Mittwoch, 8. Februar 2017

In Ubud


Ich trinke Kopi Bali in einem dieser edlen Cafés in der berühmt-berüchtigten Monkey Forest Road, die in Wirklichkeit anders heißt. Der Kaffee wird nicht mehr im Glas serviert, den Zucker schon eingerührt, egal wie süß man ihn will, sondern in der Tasse, mit Unterteller und Zuckerdose; der Zucker, braun oder weiß. Wer mag, bekommt auch ein Kännchen. Mindestens ist noch ein wenig Satz in der Tasse, aber selbst hier ist der Kaffee lasch, nur eine schwarz-braune Brühe.
Soweit der Unterschied nach über zwanzig Jahren. Alles andere will ich nur skizzieren: Starbucks vor der Pura Sukawati, der Lotusteich, den ein steinerner Teppich halbiert, der Markt, der nun in einem Gebäude untergebracht ist oder die breiten, vom Verkehr überfüllten Straßen, die dem Fußgänger keinen Platz mehr lassen. Erst gar nicht zu reden von den Edelboutiquen, die alle Straßen säumen. Keine Kioske mehr, keine vollgepackten chinesischen Läden mehr, nur noch wenige Warungs. Den Nachtmarkt habe ich noch immer nicht gefunden. Ich werde fragen müssen. Im Zentrum gibt es ihn nicht mehr. Es ist schwer, preiswert und gut zu essen. Ich habe den ersten einigermaßen authentischen Warung aufgetrieben, indonesische Küche, nicht der eigenartige westlich-indonesische Mix. Natürlich Nasi Goreng, mit dem obligatorischen Spiegelei on top.

Dienstag, 7. Februar 2017

Anders als erwartet


Ich sehe den Schmetterlingen zu, die von Blüte zu Blüte taumeln, und genieße die Wärme, die mich umhüllt;  zum ersten Mal wohlig und angenehm. Es ist sieben Uhr morgens. Kaum bin ich aus dem Haus, verschwindet die Sonne hinter dicht aufgetürmten Wolkenbergen. Der Himmel ist einheitlich grau, und es beginnt zu regnen, zuerst nur schüchtern. Eine Stunde später gießt es Strömen. Dann scheint wieder die Sonne, heiß wie es sein muss, und Kumuluswolken ziehen in Richtung auf die Berge. Auch der Chor der Zikaden und ihr schwellender Gesang ist zurück, den Regen kurz zum Schweigen brachte. Der Gedanke, dass auch Zikaden keinen Regen mögen, belustigt mich. Mein Gecko ist seit gestern ausgezogen. Nicht alles ist anders geworden, aber vieles mehr, als ich erwartet habe.

Ich gehe zu Fuß nach Peliatan, entlang einer breiten Landstraße, die erst in Denpasar endet. Von der Landschaft, die einst die Straße säumte, ist nichts mehr geblieben. Einen Weg durch die Felder gibt es angeblich nicht mehr. Wieder verdächtige ich die Balinesen. Ich bin mir sicher, dass sie es nicht ertragen können, wenn ich mich nicht erwartungsgemäß verhalte.

Montag, 6. Februar 2017

In Sanur


Ich mache mich auf den Weg nach Sanur. Es fängt an zu regnen, obwohl der Himmel eben noch blau war und die Sonne schien. Meine Gastgeberin meint: "Heute wird es nicht regnen!" So geht es mir manches Mal, denn auch Balinesen wissen nicht genau, wie das Wetter wird. Aber viel Regen wird nicht fallen. Über dem Hausdach gegenüber schiebt sich Blaues zwischen die weißen Wattewolken.
Ich fahre mit dem Perama-Bus nach Sanur, ans Meer, um das Geschenk meines Freundes abzuliefern. Eine Fahrt, durch die Kunsthandwerkerdörfer südlich von Ubud und an Denpasar vorbei, wo der Verkehr großstädtisch wird. Eine kurzweilige Fahrt. In Sanur steige ich am entgegengesetzten Ende des Städtchens aus. Bis zum Restoran Piti-Piti muss ich quer durch den Ort gehen. Ich brauche anderthalb Stunden durch Sanur, und was ich sehe, ist genug. Einmal durch den Ort, vom einen Ende zum anderen. Sanur bildet einen interessanten Kontrast zu Ubud. Ich war noch nie in Sanur, und gewinne einen ersten Eindruck. Eine völlig andere Atmosphäre, entspannter, viel weniger Verkehr, auf der Hauptstraße eine Bemolinie, nicht so viel Tinnef, viel weniger Geschäfte, dafür aber viele große Luxushotels. Es ist ruhiger und gelassener in Sanur als in Ubud und Umgebung, wo sich die Autoschlangen tagein, tagaus, durch die Straßen schieben.


Sonntag, 5. Februar 2017

Kein Vergleich


Ich habe den Eindruck, dass es seit Weihnachten in Ubud immer voller wird. Vor allem Australier und Japaner, dazwischen auffällig viele Russen und Chinesen. In Sanur fühlen sich die Härtetypen wohl: dicke, fette Männer, natürlich Aussies, mehr breit als hoch, kurze Hose mit ausgeleiertem T-Shirt, krass tätowiert, in jeder Hand eine Bierdose. Keine Ausnahme, ich habe so viele von ihnen gesehen, dass sie mir aufgefallen sind. Ich muss sie einfach erwähnen, denn sie bilden den Gegensatz all dessen, was Bali für mich ist.

Freitag, 3. Februar 2017

Goa Gajah et.al.


Ich bin seit fünf Stunden mit dem Rad unterwegs. Eine Stunde habe ich bei einer Flasche Teh Botol, gesüßtem Tee in der Flasche, und einem heftigen Tropenregen in einem Warung in Bedulu verbracht. Jetzt bin ich zurück in Ubud, in meinem Stammcafé und trinke . . . na was wohl?
Ich bin schon vor acht aufgebrochen und habe die archäologische Anlage der Goa Gajah fast eine ganze Stunde für mich allein. Welch ein friedlicher Ort! Eine Atmosphäre für Träume, still, das graue Gestein der Skulpturen und Bauten. Das mysteriöse Loch in der Wand, das eine verschlingende Fratze umrahmt. Alles eingebettet in ein mannigfaches Grün. Es fällt mir leicht, alles Urbane, Moderne und Kultivierte wegzudenken, mich der am frühen Morgen noch abgeschiedenen, archaischen Szenerie zu überlassen. Ich verstehe, warum die hinduistischen und später buddhistischen Mönche sich hierhin zurückgezogen haben. Ich sitze in einer ihrer aus dem Fels gehauenen, alterslosen Meditationsnischen und staune über die kaum spürbare Zeit, die seitdem vergangen ist.

Auf dem Campuan-Kamm


Ich höre jetzt immer häufiger, dass in Deutschland der Winter eingetroffen ist. Es ist sehr kalt in der fernen Heimat. Minusgrade kann ich mir gerade nur schwer vorstellen: Minus fünf Grad und Sonnenschein in Berlin, zeigt mir jemand auf dem Smartphone. Ich erinnere mich, aber fühlen kann ich es gerade nicht. In Ubud ist es heute besonders drückend, denn es hat seit gestern wieder viel geregnet. Der Himmel hat sein Blau verloren. Es ist einheitlich grau. Meine Kleider sind seit Tagen feucht, nichts trocknet mehr und meine Nase beschwert sich über den muffigen Geruch.

Gestern war ich auf einer langen Wanderung durch Reisfelder und kleine Weiler unterwegs. Doch es gab kein Entkommen. Immer wieder stehe ich auf einer stark befahrenen Straße. Enge Landstraßen, auf denen ständig viel Verkehr herrscht. Kein Randstreifen, auf einen Bürgersteig zu hoffen ist vermessen. Kilometerlange, öde Asphaltbänder, grau wie der Himmel vor einem Wolkenbruch. Die Fahrzeuge rasen so dicht an mir vorbei, dass ich den Fahrtwind auf der Haut spüre. Doch ich erreiche Campuan unversehrt, und stehe dort, wo früher der Hotelpool war, und ich in der Schlucht am Ufer des Sungai Wos gesessen habe. Das Wasser bildete damals eine Bucht, in die die Jungen von einem Felsen sprangen und vergnügt herumtollten. Das Hotel mit dem Pool konnte ich zwischen den vielen neuen Häusern, Souvenirläden, Menschenansammlungen und Autoschlangen, die alles verstopfen und meinen Blick behindern, nicht mehr finden. Er ist nicht mehr da, wo er in meiner Erinnerung hingehört. Anscheinend gibt es den Pool nicht mehr, der noch dazu öffentlich war.  Ich schaue von der Brücke hinunter in den um Felsbrocken wirbelnden Fluss. Den Weg hinunter ins Flusstal, an den Zusammenfluss von Sungai Wos und Sungai Cerik, finde ich leicht wieder. Es stimmt mich fröhlich und glücklich zugleich, als ich unten am Ufer auf einem Geröllbrocken sitze, den Kopf voller Erinnerungen, die Brücke, weit über mir, wo unablässig der Verkehr lärmt.

Donnerstag, 2. Februar 2017

Die lieben Nachbarn


Ich sehe Männer auf dem brachliegenden, hinteren Teil des Nachbargrundstücks ins Gespräch vertieft. Schon seit Tagen gehen sie über das Grundstück, begutachten, diskutieren und überlegen. Sie machen auf mich einen ernsten Eindruck, als ob Schwerwiegendes zu entscheiden ist. Endlich verstehe ich: Sie planen die Rodungsarbeiten.

Das Nachbargrundstück grenzt an den Sungai Wos, an den Fluss, dessen Rauschen mir Tag und Nacht in die Ohren liegt, ein nie endendes Rauschen über Steine fließenden Wassers. Was planen Sie? Das nächste Hotel, wie auf den vielen anderen brachliegenden Grundstücken, an denen ich täglich vorbei vorkomme. Während Ubud noch expandiert, entstehen gleichzeitig schon Bauruinen, Betonfundamente mit Gerüsten aus Bambusstangen, halbfertig aufgegeben.
Vorgestern Nachmittag stand eine Gruppe festlich gekleideter Frauen mit Opfergaben, geweihtem Wasser und Gebeten auf der Gasse vor dem Eingangtor ins Gehöft von Nyomans Nachbarn. Der Torbogen wird auf beiden Seiten von zwei dämonischen Wächterfiguren geschützt, deren schreckliches Aussehen alles Böse bannen soll, damit der Haushalt sicher leben kann. Meistens steht noch ein laut kläffender Hund auf der Schwelle, dessen Präsenz auf mich überzeugender wirkt als die grimmig blickenden Wächter. Deren steinerne Schönheit beeindruckt mein ästhetisches Empfinden mehr, als die wütend verzogene Grimasse eines bellenden Hundes, die Fremde erfolgreicher vertreibt. Nicht nur die Frauen, auch die beiden Wächter sind festlich eingekleidet. Als ich vorbeigehe, werden sie gerade mit Weihwasser besprengt.

Dienstag, 31. Januar 2017

Barak und Agustinus


Ich fühle mich wohl in dem schwülen Klima, aber ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, morgens feuchte Kleidung anzuziehen. Mit dem Fahrrad unterwegs sein, bedeutet schwitzen und nass sein, und so ist es letztlich egal. Eine kurze Pause in der Sonne, und ich bin wieder trocken. Dann beginnt alles von vorne. Ich habe mir zwei dünne Baumwollhemden gekauft, wie sie die Balinesen tragen, ein weinrotes und ein blaues mit Dschungelmotiv.  Meine eigenen sind mir zu warm geworden. Hemden XXL, die indonesische Übergröße, beide aus synthetischen Garnen gefertigt. Sie trocknen zwar schnell, doch wenn sie erst schweißnass sind, riechen sie schnell unangenehm. Nun bin ich luftiger gekleidet, aber dem Schwitzen scheint das nicht zu imponieren.

Montag, 30. Januar 2017

Ein vertrödelter Tag


Ich hoffe, es war in Deutschland einfacher, mein Geld aufzugeben, als für mich, es hier wieder zu bekommen. Seit einer Stunde sitze ich nun in der Bank und warte. Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren. Ich friere. Wenn ich es richtig verstanden habe, hängt das Geld irgendwo im internationalen Bankorbit fest. Es scheint überwiesen zu sein, aber die Bank bekommt es nicht auszahlungsfrei. Alles klingt zuvorkommend und freundlich, aber auch sehr preußisch. Ich habe ganz vergessen, wie genau die indonesischen Behörden alles nehmen. Wiederholt wird alles kontrolliert, kontrolliert, kontrolliert, vom Sachbearbeiter über den Filialleiter bis zuletzt zum Kassierer. Beim letzten Mal – in Timor – hat mich das fast wahnsinnig gemacht.
Während ich warte, läuft die freundliche Sachbearbeiterin geschäftig hin und her. Sie vertröstet mich, erklärt mir was passiert und unternimmt alles Mögliche, um mir die Zeit zu vertreiben. Nachdem sie alles Wissenswerte über mich erfahren hat, muss ich den Platz für den nächsten Kunden räumen. Ich sitze noch fast eine Stunde zwischen den geduldig wartenden Balinesen und lausche auf das Klappern der Automaten, der nach und nach die Reihenfolge der Nummern ausspucken. Auch sie interessiert es, wer ich bin und was ich hier will. Dann werde ich aufgerufen und warte in einem anderen Wartebereich. Dann geht es plötzlich schnell. Alle Unterschriften sind geleistet, alle Marken auf die Formulare geklebt und alle Stempel getrocknet. Wieder muss ich warten, bis mich der Filialleiter persönlich an den Schalter ruft, und mir mein Geld auszahlt. Auch er will hören, wie mein Indonesisch ist. Test bestanden.

Sonntag, 29. Januar 2017

Tempel, Reis und Rituale


Ich wollte eigentlich schon gestern nach Tegallalang, doch die Bank hat mich zu lange aufgehalten. Anschließend war ich zu träge, um so spät noch aufzubrechen. Von Tag zu Tag wird es heißer und schwüler, Seit drei Tagen hat es nicht mehr geregnet. Ich weiß nicht mehr, wo ich die ganze Flüssigkeit zum Schwitzen hernehme. Ich bezweifele, dass ich so viel getrunken habe. Als ich am späten Nachmittag mein Fahrrad abgebe, sehen Hemd und Hose aus, als hätte man mich mit Wasser begossen.

Von den terrassierten Reisfeldern in Tegallalang heißt es, sie lohnen einen Besuch. Und das Dorf Petulu, mit der Kolonie der weißen Reiherkolonie, liegt am Weg. An der Kreuzung im Süden Ubuds, dort wo es nach Peliatan geht, nehme ich die ansteigende Straße in Richtung Kintamani. So heiß, wie es bereits morgens ist, fällt es mir schwer, mich für eine Bergfahrt zu begeistern. Schon nach dem Frühstück bin ich nass geschwitzt. Doch ich will nicht abreisen, ohne die viel gerühmten Reisterrassen von Tegallalang wiedergesehen zu haben. Trotz allem habe ich Lust aufs Fahrradfahren. Die Steigungen im Süden, vom Meer aus, sind moderat. Immer wieder werden sie von längeren Etappen ohne Steigung unterbrochen, nördlich von Ubud, in die Berge, fehlen diese Atempausen, in denen das Rad von selbst rollt. Wer sich mit dem Schwitzen abfindet, braucht keine besondere Kondition um nach Mas, zur Goa Gajah oder nach Sukawati zu fahren, nach Tegallalang oder weiter nach Tampaksiring sieht das schon anders aus. Ich habe Ubud kaum hinter mir gelassen, als mir das Hemd schon wieder am Rücken klebt.

Samstag, 28. Januar 2017

Dorf der weißen Reiher


Ich fahre die Straße immer weiter bergab. Das Radeln wird zum Genuss. Ich kühle ab, mein Hemd trocknet, und ich lasse mich durch die Landschaft treiben. Plötzlich biege ich um eine Kurve und bin in Petulu. Bevor ich den ersten Reiher sehe, höre ich ihr Trompeten und Gekreische. Der Geruch von Vogelkot schwängert die Luft über dem Dorf. Ammoniakdünste ziehen mir stechend in die Nase. Vor mir liegt eine lange, geradeaus abwärts führende Dorfstraße durch das Straßendorf Petulu. Auf beiden Seiten der Straße reihen sich traditionelle, ummauerte Gehöfte aneinander, die nur über eine Treppe und durch ein schmales Tor erreichbar sind. Viele von ihnen besitzen noch eine Geistermauer, die die Sicht ins Innere versperrt, und die Geister zwingt, um die Ecke zu gehen, was sie nicht können. Die Bewohner befinden sich in Sicherheit. Die Ränder der Straße säumen verschiedene, große und kleine Bäume. Rund um jeden Baum breitet sich ein halbrunder, vor Vogelkot starrender, weißer Fleck aus. Und während ich die Dorfstraße hinabfahre, klatscht es neben und hinter mir auf den Asphalt.

Freitag, 27. Januar 2017

Im Tal des Sungai Ayung


Ich kann es noch nicht wirklich glauben, aber es hat seit fünf Tagen nicht mehr geregnet. Für Januar, den regenreichsten Monat, nicht schlecht. Noch vor einer Stunde zogen aus Südosten schwarze Regenwolken auf.
„Es wird gleich regnen“, sagten die Männer im Warung, wo ich ausgehungert mein spätes Mittagessen verschlang. Ich habe ihnen geglaubt, und mich schnell auf den Weg nach Pengosekan gemacht.
So kurz vor meiner Abreise nach Munduk wollte ich nicht durchnässt nach Hause kommen, denn wenn erst einmal ein kräftiger Regen fällt, trocknet meine Hose nicht mehr bis Morgen. Ich habe nur die eine. Aber es regnet nicht, die schwarzen Wolken ziehen über mich hinweg. Wieder einmal war eine improvisierte Wettervorhersage falsch. Doch der Tag ist noch nicht zu Ende. Das Tal des Sungai Ayung lockt, des Flusses, der die Grenze zwischen den beiden Landkreisen Gianyar, zu dem auch Ubud gehört, und Badung, im Westen, bildet. Zwischen den beiden Territorien verläuft gleichzeitig eine andere, unsichtbare Grenze: der Ubud-Tourismus endet am Sungai Ayung. Die Regionalregierung in Badung hat strengere Auflagen. Man hat dort erkannt, dass hemmungsloser Tourismus schließlich dazu führt, dass keine Touristen mehr kommen. In Badung steht der Schutz von Natur und Kultur über der kapitalistischen, profitorientierten Ausbeutung dessen, was Bali vor kaum hundert Jahren noch war und fast schon nicht mehr ist. Die Wanderung durch das Tal des Ayung stimmt den Schlussakkord meiner drei Wochen in Ubud an. Bis zu jetzt habe ich gezögert, an den Ayung zu gehen, und mich erst beim morgendlichen Cappuccino entschieden. Ich kann mir nicht erklären, was diese emotionale Ambivalenz ausgelöst hat. Es scheint eine Hassliebe zu Ubud entstanden zu sein. Fragmente der alten Faszination lauern noch in allen Ecken. Doch ich bin es leid geworden, schon wieder durch das touristische Ubud zu laufen, bis ich endlich da ankomme, wohin es mich zieht. Ich bin genervt und psychisch und mental erschöpft. Aber es wäre außerordentlich schade gewesen, wäre ich zu Hause geblieben, und nicht durch das Tal des Ayung gewandert.

Donnerstag, 26. Januar 2017

Ubud - der letzte Blog


Ich bewege mich inzwischen auf dem schmalen Grad zwischen Tradition und Moderne. In Ubud, und es sieht so aus als betrifft dies den ganzen Süden Balis, ist das Pendel des kulturellen Wandel heftig in Richtung westliche Moderne ausgeschlagen. Die Tradition muss sich bemühen, Schritt zu halten, damit sie nicht mit der älteren Generation ausstirbt. Ich wohne in Pengosekan, drei Kilometer vom Zentrum von Ubud entfernt, wo es noch einigermaßen ruhig ist. Ubud selbst ist zu einem uniformen Zentrum des Tourismus verkommen, wie es sie weltweit gibt, ohne dass sich noch ein Ort vom anderen unterscheidet. Uniform und globalisiert, kulturell nivelliert. Wer aus Europa nach Ubud kommt, kann sich den Weg sparen. Es ist einfacher, schneller und preiswerter nach Mallorca zu fliegen. Der letzte Rest authentischer, balinesischer Kultur, der geblieben ist, findet nicht mehr in der Öffentlichkeit statt. Was zu sehen, zu spüren, zu erleben, zu schmecken, riechen und zu hören ist, ist weiter nichts, als eine aufgehübschte Fassade für den zahlenden Gast.

Dienstag, 24. Januar 2017

Bali-Hotspots


Ich liege lesend auf dem Bett, als Made, der mich vor ein paar Wochen vom Flughafen abgeholt hat, vor der Terrasse steht und ruft:
„Sudah siap?“ Ob ich fertig bin, will er wissen. 
Seit acht Uhr morgens habe ich gepackt. Ich bin bereit für Munduk. Für elf Uhr sind wir verabredet, aber Made hat heute Zeit und keine weiteren Fahrgäste. Er meint, auf dem Weg nach Munduk werde er mir ein paar Sehenswürdigkeiten zeigen. Kein Aufpreis für mich, fügt er verschwörerisch lächelnd hinzu. Bei ihm kommt zuerst der Mensch, dann das Geld, flüstert er mir verschwörerisch zu. Wir leben alle in einer Welt, erklärt er mir, wir sind eins mit ihr und miteinander, und unsere Aufgabe ist es, für Harmonie zu sorgen. Also verabreden wir uns für zehn Uhr. Made wartet vorne bei Nyoman im Pavillon, bis ich fertig bin. Sie sind alte Freunde und mittlerweile auch Geschäftspartner. Es kommt ihm nicht darauf an, Zeit zu sparen. Er wollte mich aus meiner Untätigkeit erlösen, die das Warten mit sich brachte. Meine Geduld ist mit seiner nicht zu vergleichen.
Der Abschied von Nyoman und Ketut nimmt wenig Zeit in Anspruch. Emotional sind beide zurückhaltend, respektvoll freundlich, aber aus der Distanz. Nyomans Frau begleitet mich hinaus, wo Made gerade versucht seinen SUV in der engen Gasse vor dem Gehöft zu wenden. Letzte Worte, vielen Dank für die gute Versorgung während meines Aufenthalts, gute Reise und gutes Bleiben. Wir wissen alle, wie unwahrscheinlich es ist, dass wir uns wiedersehen. Ein sampai lagi, bis bald, kommt keinem von uns den Lippen. Ich war ein geschätzter Gast in Nyomans Haus, kein Verwandter, kein Freund. Ich bin jemand, der vorbeikommt, kurz bleibt und dann weiterzieht.

Montag, 23. Januar 2017

In Munduk


Ich erwarte im abgelegenen Bergdorf Munduk nicht das Gedränge der Touristen, die beinahe Tag und Nacht durch das mondäne Ubud flanierten. Alles spricht für eine authentischere Landschaft, für Naturkulissen, Berge und lange Wanderungen. Mein neues Domizil, Edy´s Homestay, liegt unterhalb der Hauptstraße, die Buleleng mit Tabanan verbindet, und die Munduk in zwei Hälften zerschneidet; ein paar hundert Meter unterhalb der Nebenstraße nach Gesing, die sich steil den Berg hinab windet. Edy´s ist nur halb belegt. Von den zwei freien Zimmern, weitere werden gerade in Eigenleistung von der Familie gebaut, kann ich mir eines aussuchen. Ein noch sehr neues, dreistöckiges Haus, gerade einmal die zwei Zimmer breit, lehnt wie ein rückwärts geneigter Turm unmittelbar am Hang. Das Homestay ist Teil eines Gebäudeensembles, von denen zwei Häuser von der Familie bewohnt werden: der Großmutter, den Eltern und ihren beiden halbwüchsigen Kindern. Ein kleiner, für balinesische Verhältnisse entspannter Hund gehört mit dazu. Die Kinder toben vergnügt über den Hof, Hühner gackern aufgeregt und lautstark und die Erwachsenen gehen gelassen ihren Arbeiten nach.
Die Landschaft und der Blick auf die Berge sind vielversprechend. Mein Gastgeber reicht mir, kaum dass ich beim Kaffee sitze, eine Liste herüber, auf der verschiedene Trekkingrouten in die Umgebung aufgelistet sind. Und schon ist sie wieder da: meine ungeliebte Rolle und die Erwartungen der Balinesen an einen Touristen. Zumindest ist man in Munduk gerüstet und gut vorbereitet. Anscheinend wird auch hier der erste Ansturm erwartet, der die Wanderer und Trekkingtouristen in die Region bringen soll. Die westlichen Touristen, die Südbali, und besonders Kuta und Ubud mit ihren Way of Life geprägt haben, werden, was sie angerichtet haben, nun langsam müde. Nachdem es sich dort fast wie zuhause leben lässt, steht ihnen der Sinn nach dem nächsten Kitzel.

Sonntag, 22. Januar 2017

Im Schatten des Gunung Lesung


Ich sitze auf dem Balkon und frühstücke, und schaue hinüber zum Gunung Batukaru. Dessen Gipfel ist auch heute wolkenverhangen. Seit ich in Munduk bin, wandern am frühen Nachmittag dunkelgraue und schwarze Regenwolken auf die fünf Gipfel zu, die meinen Blick in alle Richtungen begrenzen. Der Batukaru ist mit 2276 Metern der höchste Berg der Region, ein vor unendlich langen Zeiten erloschener Vulkan. Noch immer profitierten die Bauern von dem fruchtbaren Boden, den er hinterlassen hat. Die Regenzeit in Munduk unterscheidet sich von den berechenbaren Schauern in Pengosekan. In den Bergen regnet es nicht, es schüttet. Täglich mehrmals hintereinander. Dann treibt Wind die Wolken durchs Tal, und hinauf über die Berge. Plötzlich ist alles in undurchsichtiges Grau gehüllt, ein feiner Nebel aus Milliarden winzigen Wassertröpfchen, ein über die Landschaft gesprühter Dunst. Die Sicht beträgt kaum fünfhundert Meter. Dahinter verschwindet alles in den durchziehenden Wolken.
Gestern habe ich den ganzen Tag vertrödelt. Nachmittags sorgte der Regen dafür, dass ich nichts mehr unternehmen wollte. Zimmerarrest!

Samstag, 21. Januar 2017

Agama Tirtha


Ich genieße die Ruhe und entspannte Gelassenheit in Munduk. Die Atmosphäre bildet einen wohltuenden Kontrast. Die Natur hat sich durchgesetzt, und die Urbanität der letzten Wochen auf die Plätze verwiesen. Die hektischen Wochen im Süden verlieren sich in der Erinnerung. Ich vertrödele den Vormittag. Die Tage, die Stunden und die genaue Uhrzeit sind bedeutungslos geworden. Eine ganze Woche hat es die Regenzeit gut mit mir gemeint: es hat kein einziges Mal geregnet. Noch beim Frühstück sieht es nach dem nächsten trockenen Tag aus. Nun regnet es seit zwei Stunden. Mein Spaziergang, den ich heute morgen geplant habe, fließt gerade den Weg hinunter. Zwei Stunden starker Regen hat die Straße vor Edy’s Homestay in einen schnell abwärts strömenden Bach verwandelt. Alles um mich herum ist in einen grauen Schleier aus Wasser gehüllt. Es gießt in Strömen, es plätschert und platscht, es trommelt auf die Wellblechdächer, das Wasser klatscht auf den Boden und in die Pfützen, es tropft und tröpfelt von den Dächern, von den Blättern, es rauscht leise und schwillt an wie ein zorniges Grollen. Schon geht der nächste Schauer nieder. Über den Himmel ziehen dicke, dunkelgraue Wolkenpakete, die das Licht dimmen. Hinter den Berggipfeln verschwinden sie nach Irgendwo. Niemand ist draußen, und die Geräusche der täglichen Aktivitäten sind im Regen ertrunken. Während ich noch schreibe, fahren die ersten Autos schon wieder hupend den Weg hinunter der eben noch ein Bach war. Es regnet weiter, weniger heftig. Der Regen rauscht wie ein Fluss, der über eine Stromschnelle stürzt, aber die Wassermassen, die die Wolken eben auf die Erde schütteten, mäßigen sich inzwischen. Der Himmel ist noch immer dunkelgrau und die Wolken tragen schwer. Es wird noch weiter regnen. Ich bin in unablässigem Strömen gefangen. Alles ist Wasser, und das Wasser macht Bali.

Freitag, 20. Januar 2017

Allgegenwärtig Banten


Ich verabschiede mich von Munduk, und der Himmel weint, weil ich schon gehe. Gute, ereignisreiche Tage gehen im Regen zu Ende.
Eine Reise ist in Bali immer ein Anlass, eines der Opfer darzubringen, die in Bali, wegen ihrer Vielzahl und Variationsbreite, allgegenwärtig sind. Wer ein solches Opfer deponiert, ob bei der Abreise, oder für die sichere Rückkehr, hofft, negative Einflüsse und Gefahren, all die potentiellen Zufälligkeiten auf einer Reise, die man als das Wirken dämonischer, böswilliger oder launischer Kräfte auffasst, abzuwehren oder zumindest zu neutralisieren. Sind solche Ereignisse bereits eingetreten, versucht man sie durch ein Opfer an die Verursacher wieder zu bereinigen. Ob heute für mich jemand ein Opfer darbringt? Sicher opfert meine Gastgeberin für ihren Mann, der mich an die Küste bringt, für seine sichere Hin- und Rückreise. Ihr Schutz schließt mich hoffentlich mit ein.

Für Balinesen ist der Ausgleich zwischen positiven und negativen Kräften existenziell. Der stetige Kampf, wie im Barong-Rangda-Maskentanz, muss ausgewogen sein. Allerdings definiert die balinesische Weltanschauung gut und böse nicht absolut, sondern relativ. Das eine beinhaltet auch das andere: das Gute kann nicht ohne das Böse existieren und umgekehrt. Dieses Gleichgewicht, dem auch Gottheiten und Dämonen unterworfen sind, ist unauflösbar in allem vorhanden, sodass selbst sie durch diese Ambivalenz geprägt sind.
Die Aufgabe der täglich an den entsprechenden Stellen deponierten Opferkörbchen, banten genannt, sorgen für diese Harmonie der sichtbaren (sekala) und der unsichtbaren Welt (niskala).
Die Balinesen teilen sich ihre Welt mit drei nicht-menschlichen und nicht-sichtbaren Mächten, die ihr Leben positiv oder negativ beeinflussen: den verehrten und helfenden Göttern (betara / betari) und Ahnen (pitra) sowie den böswilligen, Schaden verursachenden Dämonen (butakala) oder Hexen (leyak). Die Butakala, so glaubt man, sind das Gefolge der Götter, die deren Strafen ausführen, wenn Menschen sich unangemessen oder nicht regelkonform verhalten. Leyaks, die den Menschen willkürlich schaden, bilden das Gefolge der Rangda, wie in Mythologie, Volksglauben und im Barong-Maskentanz thematisiert.

Donnerstag, 19. Januar 2017

Ein Sitz für Geister


Ich gewöhne mir an, am frühen Nachmittag, zwischen 14 und 15 Uhr, zurück im Homestay zu sein. Wenn der Tag nicht gleich mit Regen beginnt. Den Rhythmus meiner letzten Tage in Munduk bestimmt das Wetter, das in der vergangenen Woche höchst zuverlässig seine täglichen Wassermengen in den Bergen abgeladen hat. Meine Wanderungen im Bergwald werden dadurch zu einem Glücksspiel mit dem Monsun. Ich bin nicht daran interessiert, und halte es auch nicht für abenteuerlich, von einem heftigen Tropenregen am Hang im Wald überrascht zu werden, wenn sich der Weg in einen abwärts stürzenden Fluss verwandelt, der allerlei mit sich führt. Meistens eine gute Entscheidung, denn die Nachmittagsstunden gehören in Munduk der Regenzeit.
An einem halben Tag mache ich keine weiten Wanderungen, allenfalls einen Spaziergang. Viel Neues oder Interessantes ist mir auf diesen kleinen Ausflügen nicht mehr begegnet, aber es sind die Kleinigkeiten und Alltäglichkeiten, die ich spannend finde. Das von Bergen (Gunung Batukaru, 2276 m; Gunung Sangayang, 2093 m;  Gunung Tapak, 1905; Gunung Lesung, 1860 m) eingeschlossene Tal, in dem Munduk liegt, bietet dem Fußgänger, dessen Reichweite begrenzt ist, keine große Abwechselung. Die Wege führen in kurzen Distanzen auf und ab, bieten dafür aber spektakuläre Ausblicke in das Tal, auf einsame Gehöfte, die versteckt im Bergwald liegen, auf kleine Siedlungen, die sich an den Hängen entlang ziehen, und die mehrere Gehöfte zusammenfassen; auf 
im abschüssigen Gelände terrassenförmig angelegte Sawahs, zwischen denen Kokospalmen, Papayabäume und Bananenstauden wachsen.

Mittwoch, 18. Januar 2017

Lovina Revisited


Ich kehre zurück nach Lovina. Nach Nordbali. An die Küste des Laut Bali, der Bali See. Ich erinnere mich daran, bereits einmal hier gewesen zu sein. Aber ich erkenne nichts mehr wieder. Der Ort heißt Kalibukbuk, ein touristisches Zentrum besonderer Art. Verglichen mit dem elaborierten Ubud kommen mir die Gassen und Häuser, die von der breiten, stark frequentierten Durchfahrtsstraße meerwärts abzweigen, natürlicher vor, bescheidener, eben indonesischer. So war Ubud einst auch. Ich besitze Fotografien und kann es daher beurteilen. Aber der Norden ist auch nicht Südbali, denke ich. Das Bali der Nordküste besitzt nicht den bezaubernden Charme, nicht die inspirierende Lebendigkeit und die Fantasien weckende Atmosphäre. Mein erster Kontakt mit dem Süden Balis erschien mir damals völlig irreal. Das intensive Grün der Landschaft, die Farbigkeit der Menschen, die Feuchtigkeit, die fühlbar auf der Haut lag, und die Hitze, die sie trocknete. Ohne es zu bemerken, war in einem Augenblick den Tropen verfallen. Ich fühlte mich in eine Landschaft versetzt, die ich in einem exotischen Film vermute hätte, nicht in der Wirklichkeit. Doch ich war von der Leinwand herabgestiegen und befand mich mitten in einem Traum. Meine zweite Erkenntnis bestand in einer äußerst sensorischen Erfahrung: visuell und gustatorisch. Bali ist bunt, scharf und süß.

Dienstag, 17. Januar 2017

Strandhandel


Ich sitze am Strand, und bewundere den Sonnenuntergang. Der ist berühmt in Lovina, heißt es. Anscheinend nicht in der Regenzeit. Über mir ragt eine gebogene Säule auf, die sich als ein gekrönter Delfin entpuppt, der auf seiner Schwanzflosse steht. Um in herum versammeln sich mehrere kleine, tanzende Delfine. Lovina ist auch berühmt für seine Ausflüge aufs Meer, zu den richtigen Delfinen. Dann stehen Touristen in den Booten, und die Delfine tanzen im Wasser um sie herum. An der Delfinsäule am Strand trifft sich abends die Jugend von Kalibukbuk. Vereinzelte Touristen spazieren zwischen ihnen umher.
Unter tropischer Sonne schmelzen die Tage dahin; Lovina ist fast vorbei, und ich will weiter. Nach Pemuteran. Ein anderes Strandressort: Nachhaltiger Tourismus. Ich bin gespannt.
Ich esse im Restaurant zu Abend. Wieder der einzige Gast, wie so oft. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, in einem anderen Restaurant, spielt eine Band, und alles strömt dorthin. Ein gelungener Abend, für den Besitzer. Western Pop spielen die Jungs. Ganz anständig. Cover-Versionen.

Montag, 16. Januar 2017

Global Village Kafé


Ich trinke einen fast italienischen Cappucino, wie man ihn mittlerweile in Bali bekommen kann. Die Welt ist ein Dorf, und Kaffee trinkt man überall. Aber nicht immer so gut und perfekt zubereitet, und auch nicht in einer solch außergewöhnlichen Atmosphäre wie im Global Village Kafé in Kalibukbuk.

Es gibt viele Cafés, Restaurants und Bars in Kalibukbuk, doch nur das Global Village Kafé vertritt öffentlich humanistische Werte, hat einen sozialpolitischen Anspruch. In diesem Kafé wird fair gehandelt und der Gast als Finanzier in soziale, medizinische und bildungspolitische Projekte im dörflichen Bali eingebunden. Damit der Gast sofort begreift, welche Welt er betritt, verkündet ihm im Eingangsbereich eine Tafel die multikulturelle Orientierung des Global Village Kafé. Das ALL-Manifest lautet: All Cultures. All Colours. All Ages. All Sizes. All Sexes. All Abilities. All Religions. All Creeds. All Beliefs. All People.

Sonntag, 15. Januar 2017

Pura, Strand und Meer


Ich sehe am Strand in Pemuteran ein paar Jugendlichen zu, die Fußball spielen. Das Spielfeld ist uneben und leicht abschüssig, und am Spielfeldrand klatschen die Wellen auf den Sand. Manchmal nehmen sie den gelben Ball auch ein Stück mit zu sich ins Meer. Einer der Spieler läuft dann ins seichte Wasser, dehnt das Spielfeld etwas aus und kickt den Ball zurück auf den Strand, wo ihn ein anderer annimmt und weiterspielt. Ihr Spielfeld ist an keiner Seite begrenzt, und ich verstehe auch die Regeln nicht, nach denen gespielt wird. Für die Kids ist das Spiel ein großer Spaß. Um nichts Anderes geht es ihnen.
Auch meine Reise in Bali ist ein Spiel, ähnlich wie das der Jungen am Strand. Ich wechsele die Orte, wie sich ihr Spielfeld verändert, was geschieht, weiß ich erst, wenn es eintritt. Auch mein Spielfeld ist flexibel. Mir geht es um den Augenblick des Erlebens. Wohin der Fußball rollt, wohin es mich treibt, entscheidet die Freude am Spiel.

Samstag, 14. Januar 2017

Wie alles anfing


Wie hat alles angefangen? Mit mir und Bali, mit Bali und dem Westen? Während ich in Wayans rotem Minibus, unterwegs nach Singaraja bin, erinnere ich mich an den jungen Mann, der mich in der Pura Melanting so offen heraus und berechtigt fragte, als ich ganz allein zwischen den betenden Balinesen im Innenhof der Pura stehe: „What are you doing here?“.
Die Frage, wie auf Bali alles anfing, erfordert eine doppelte Antwort: eine individuelle, die mich allein betrifft, und eine kollektive, meine ganze Kultur betreffende. Und dann versteckt sich in dieser Frage eine weitere, nämlich die nach den Auswirkungen dieses Kontakts zwischen zwei Kulturen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können.
Ich denke an meine erste Reise nach Bali zurück, an die Wochen, in denen ich von der Fremdheit dieser Kultur so fasziniert war, dass ich mich in einem Film gefühlt habe, in dem ich Statist war. Irgendetwas zog mich durch diese Kultur, ich war sprachlos, ein bewusst Handelnder sicher nicht. Dazu war um mich herum alles zu fremd. Verstörender konnte ein Ort nicht sein. Der erste Eindruck verdichtete sich zu Gefühlen und Empfindungen. Konkrete Erinnerungen an Menschen, Ereignisse und Erlebnisse sind mir nicht geblieben. Wenn ich an diese Wochen zurückdenke, schaltet sich vor ein Diaprojektor vor meinem inneren Auge ein. Willkürlich schiebt der Wagen Bilder in den Lichtstrahl des Projektors. Unzusammenhängend und kontextlos, emotional intensiv aufgeladen. Ob es den anderen Touristen auch so ergeht?

Freitag, 13. Januar 2017

Der steinerne Kosmos


Ich begegne zahlreichen, festlich gekleideten Männern und Frauen auf den Stufen der Treppe, die unter einem Torbogen enden, der einem Kala Boma darstellt. Durch das Maul eines Dämons betrete ich die Pura Melanting. Schon als ich die Stichstraße zum großen Parkplatz vor dem Tempel hinauffahre, kommen mir Autos und Mopeds entgegen oder überholen mich, eindeutig von einer Zeremonie kommend oder zu einer unterwegs. Die Kleidung der Fahrer ist festlich und traditionell, wie es sich eine religiöse Zeremonie gehört. Feierlich herausgeputzt sind Kinder, Frauen und Männer. Dass ich mich einem besonderen Ort nähre, darauf weisen auch die unverhältnismäßig vielen Göttersitze und Schreine am Wegesrand hin.
Am Parkplatz geht es geordnet zu. Eine große, rote Tafel sortiert die Fahrzeuge mit zwei oder drei Rädern in die richtige Richtung. Wie immer parke ich mein Fahrrad bei den Mopeds und Motorrädern. Es fühlt sich immer wieder seltsam an, allein unter den PS-stärkeren Geschwistern zu stehen.

Donnerstag, 12. Januar 2017

Nirartha, Tempel und Makaken


Ich treffe Made, meine Gastgeberin, am Eingang in ihr Gehöft. Sie ist Mitte Vierzig, Mutter von vier Kindern. Sie war einige Jahre Pembantu, Servicekraft, in dem Luxusresort Matahari Beach Hotel in Pemuteran. Zusammen mit ihrem Mann hat sie sich vor ein paar Jahren selbständig gemacht und das Pondok Cangked Guesthouse eröffnet. Sie ist perfekt in allem was sie für ihre Gäste tut. Ihr Frühstück ist nicht nur reichhaltig und köstlich, es ist auch liebevoll arrangiert. Eine Augenweide! Auch ihr Äußeres fällt aus dem Rahmen, verglichen mit dem alltäglichen Bild der Frau in Bali: Sie hat kurz geschnittenes Haar und trägt dazu immer balinesische Tracht. Man könnte auch sagen: Ritualkleidung als Arbeitsuniform. So vereint Made in ihrer Erscheinung Tradition und Moderne, die ideale Projektionsfläche für den westlichen Touristen.
Es ist heiß in Kalibukbuk, an meinem letzten Tag. Gefühlt der heißeste Tag seit ich in Bali bin. Ein fast durchgehend blauer Himmel, ein paar verstreute Cirren, mehr nicht. Auch der Dunst über den Bergen, der die Gipfel kaum verhüllt, sieht nicht nach Regen aus. Jetzt bin ich in Pemuteran, in Westbali. Kaum zwei Stunden mit dem Auto entfernt von Lovina, bei nachlassenden Verkehr, und imponierender Landschaft. Die Berge rücken immer näher ans Meer, bis die Landstraße an der Pura Pulaki unter dem Überhang einer Steilwand entlang führt. Auf der anderen Seite, vielleicht dreißig Meter entfernt, brechen flache Wellen am Strand. Ein Blick nach Westen, und ich sehe die Berge Ostjawas. Das Dorf, ein Straßendorf, verschwindet im Grün, wie eine Kurpromenade. Läden, Warungs und Werkstätten, nicht dicht gedrängt, sondern in lockerer Anordnung. Auf beiden Seiten der Straße führen schmale, nicht asphaltierte, doch teilweise mit schmalen Platten ausgelegte Gassen in die Wohngebiete, wo auch die Homestays liegen; von Familien geführt. Zwischen dem Strand und der Landstraße nach Gilimanuk haben sich mehrere, luxuriöse Hotels, inmitten gepflegter Parklandschaften gelegen, sowie die Tauchclubs und Tauchschulen, angesiedelt. Tourismus einer gehobenen Kategorie. Man setzt sich ab von Lovina und Ubud. Ich wohne wieder im Schatten der Berge.

Mittwoch, 11. Januar 2017

Tenganan Revisited


Ich schaue der Sonne zu, am Strand von Candidasa, wie sie hinter einem mächtigen Gewölk versinkt, das schwer über den Bergen hängt. Mühsam zwängen sich schmale orange Streifen zwischen die Wolken, da, wo es Lücken gibt. Unaufgeregt rollt der Samudera Indonesia, der Indonesische Ozean, seine Wellen an den Strand. Auslegerboote tanzen, und Kies knirscht unter ihren Kiel. Ununterbrochen bläst der Wind vom Meer gegen das Land. Es ist kühl, nach einem heißen Tag, auf der Grenze von Land und Meer. Die Berge ähneln Silhouetten auf der Leinwand eines Schattenspiels. Die grauschwarzen Wolken darüber erinnern immer mehr an das schmutzig rote Glühen eines zornigen Vulkans. Mit den letzten Strahlen der sinkenden Sonne schweifen meine Gedanken in die Vergangenheit. Ich war vor Jahrzehnten bereits einmal hier, saß wie jetzt auf einer Mauer am Meer im Abendwind. Am nächsten Tag ging ich nach Tenganan, nach Tenganan Pegringsingan, wie der Ort vollständig heißt. In nostalgisch sentimentaler Stimmung entschließe ich mch, die Wanderung zu wiederholen.

Dienstag, 10. Januar 2017

Der Müll muss weg


Ich sehe einen alten Mann, gebeugt unter der Last eines schweren Sacks, der ihm auf den Rücken drückt. Es ist spät am Nachmittag, und er kommt vom Strand. Er trägt einen Hut aus Bambusstreifen, in der Form eines konischen Deckels, ein schmutziges T-Shirt mit dem Logo des Hard Rock Cafés und eine fleckige, beige Baumwollhose. Der Mann geht barfuß. Der Sack ist ein Plastiksack, gefüllt mit den PET-Flaschen, von denen auf Bali täglich drei Millionen fort geworfen werden. Der Mann bekommt für einen Sack umgerechnet 60 Eurocent. Ein Arbeitsplatz.

Die meisten sehen zu, heißt auch, dass sie alle etwas sehen. Aber auch das Gegenteil trifft zu, dass viele genervt wegsehen, sich aufregen oder versuchen das Problem zu ignorieren. Will der Bali-Urlauber wirklich wissen, welchen Preis die Insel schon heute zahlt? Er will Erholung, Entspannung, Abwechslungsreiches, das ihn seinen Alltag zuhause vergessen lässt, Spaß, Vergnügen, Unterhaltung. Ruhe sanft, Dornröschen, und hoffe, dass dein Prinz verschläft.

Abends muss ich das Fahrrad abgeben. Ich will noch einmal in die Berge. Ein neues Dorf kennenlernen, abseits vom Tourismus. Noch einmal von oben auf das Meer blicken.

Montag, 9. Januar 2017

Ein Tag in Tenganan


Ich sitze in Tenganan auf den Stufen eines Balés und atme die Atmosphäre des Dorfes. Es ist noch früh. Die Morgensonne wirft lange Schatten. Die Dorfstraßen sind fast leer, kaum jemand ist unterwegs. Die Türen der Häuser sind bis auf einen Art Shop, der bereits Textilien im Eingang hängen hat, verschlossen. Ich bin irritiert, denn die Bilder, an die ich von meinem ersten Besuch in Tenganan erinnere, decken sich nicht mit der Wirklichkeit. In meiner Erinnerung hat sich viele Jahre lang ein anderes Dorf als Tenganan ausgegeben. Jetzt bringe ich Fotos mit nach Hause, damit Tenganan Tenganan bleibt.
Neben mir sitzt ein Mann im Schatten des Balés, an dessen Sockel ein knappes Dutzend Hähne in großen Bienenkorbkörben stehen. Der Mann trägt ein blau kariertes, langärmeliges Hemd, einen blaugemusterten Sarong, und hat langes, dicht gekräuseltes Haar. Afro-Look! So entspannt im Schatten, im Halbdunkel des Balés sitzend, erinnert er mich an einen braungebrannten Hippie der frühen 1970er Jahre, wie es in Südostasien damals viele gab. Eine Zeitlang sitzen wir schweigend, Blicke austauschend, keine zwei Meter von einander entfernt. Anscheinend fragen wir uns, ob ein Gespräch die kontemplative Stimmung nicht zerstört. So bleiben wir in uns gekehrt, bis sich ein weiterer Mann sich zu uns gesellt.
„Gefallen Dir die Hähne?“ fragt er mich nach einem kurzen Gruß.

Sonntag, 8. Januar 2017

Der Traum des Imkers


Ich lerne völlig unerwartet Gede kennnen. Viel zu spät, so kurz vor meiner Abreise. Es ist Sonntag Vormittag, und ich bin noch einmal hinauf nach Tenganan gewandert. Ohne eine andere Absicht als Neugier. Ich bin immer noch gespannt, wie sich der Ort in dreißig Jahre entwickelt hat. Was ist aus dem abgeschiedenen Dorf der konservativen Bali Aga geworden ist? Ich habe mich Mitte der 1980er Jahre intensiver mit dem Doppelikat, mit Geringsing, dieser für Tenganan charakteristischen Webtechnik. Ich erinnere mich noch gut daran, wie verlassen das Dorf damals wirkte, wie mich die wenigen Bewohner einfach ignorierten. Ich fühlte mich unsichtbar, im besten Fall unerwünscht. Der Besitzer eines Art Shops, ich glaube es gab damals nur den einen, erbarmte sich, sprach mich an, und bot mir gleichzeitig ein für mein schmales, studentisches Budget unglaublich teueres Geringsing-Gewebe an. Ich erinnere mich noch gut an den schmalen Schal mit dem figurativen Motiv. Enttäuscht keinen Kontakt gefunden zu haben, aber fasziniert von der mysteriösen Atmosphäre und der für Bali ungewöhnlichen Dorfanlage, verließ ich Tenganan Pegringsingan, wie der vollständige Name lautet.

Samstag, 7. Januar 2017

Ein schwarzer Stier


Ich fahre mit dem Rad auf der Monkey Forest Road in nördliche Richtung. Wo ich sonst im endlosen Stau tagsüber kaum durchkomme, ist die Straße unerwartet leer. Kein einziges Auto begegnet mir. Nur das eine oder andere Moped. Schon von weitem höre ich Trommeln und die bronzenen Becken eines Gamelans ihren schnellen, Rhythmus hämmern. An der Kreuzung, wo die Straße mit der Jalan Raya Ubud kreuzt, und in die schmalere Jalan Suweta einbiegt, leuchtet ein bunter Meru durch die Blätter der Bäume. Als ich eintreffe, erreichen die Vorbereitungen für die Prozession zur Pura Dalem Peliatan ihren Höhepunkt.
Der Cokorda von Ubud, Nachkomme eines berühmten balinesischen Adelsgeschlechts und mit einer Niederländerin verheiratet, ist gestorben. Heute Nachmittag, das haben die Priester durch die Befragung ihres Mondkalenders herausgefunden, ist der günstigste Tag für seine Verbrennung (ngaben). Cokorda ist ein Titel für einen hochrangigen Fürsten oder Prinzen, doch da herrscht Uneinigkeit. Er gehört der Kaste der Ksatriya an, die im 15. Jahrhundert aus der Gruppe der ersten javanischen Regenten hervorging.

Freitag, 6. Januar 2017

Sanghyang Widi Wasa


Ich frühstücke westlich, im Kopi On Bisma in Ubud. Der Name ist balinesisch. Die tropischen Früchten im Müsli auch. Ein Detox-Shot und ein Cappuccino runden mein Frühstück ab. Ich glaube nicht, dass es noch besser geht. Aber dafür steht Ubud, das selbsternannte gastrokulturelle Zentrum Balis. Das Café ist bis auf den letzten Platz besetzt.
Ich sitze auf der überdachten Terrasse, während im Hintergrund die Milch für den nächsten Cappuccino aufgeschäumt wird. Ich schaue dem morgendlichen Treiben auf der Jalan Bisma zu:
Mopeds und große SUV drängeln sich auf der engen Straße zwischen die Fußgänger. Eigentlich ist es keine richtige Straße, eher ein Weg. Schülerinnen in Festkleidung, weiße Bluse und oranger Sarong, um die Taille einen roten Schal gebunden, Spärlicher gekleidete To
uristen mischen sich unter sie. Junge Frauen in kurzer Hose, in Minirock und enganliegendem Top. Nichts verbergend, was Fantasie und Erfahrung nicht dekodieren können. Die kurzen Hosen der Männer enden über dem Knie. Gekleidet wie große Jungen, die wenig von Etikette und höflichem Benehmen wissen. Keiner von ihnen ist so gekleidet, wie Balinesen als angemessen empfinden. Nur die meisten der älteren Touristen zeigen weniger Haut. Es ist eine eigentümliche Melange brauner, rotbrauner und weißroter Menschen, die heute Morgen am Kopi On Bisma entlang flaniert.
Ich bin zurück in Ubud. Der Monsun hat in den letzten Tagen noch einmal heftig Fahrt aufgenommen. Muss er sich kurz vor Ende der Regenzeit noch einmal beweisen? Es regnet jetzt jeden Tag, meistens mehrmals. Der erste starke Schauer geht am frühen Nachmittag nieder und verwandelt die Straßen und Wege vorübergehend in kleine Bäche. Ein zweiter Schauer folgt dann sehr schnell dem ersten, der dritte später in der Nacht. Aber es gibt auch Tage, an denen der Regengott einen kräftigen Schauer am späten Nachmittag für ausreichend hält. In diesem Jahr ist nicht der Januar, sondern der Februar der regenreichste Monat.

Donnerstag, 5. Januar 2017

Ganesha - ein Epilog


Ich sehe überall in Bali Ganesha-Statuen in den Hauseingängen, vor den Geschäften und Restaurants, an Kreuzwegen und im Schatten mächtiger Waringinbäume. Die meisten sind reich geschmückt, tragen Blumenketten um den Hals, viele von ihnen sind bunt bemalt, glänzen in ihrem neuen Kleid. In ihrem Schoß und am Sockel ihres Throns häufen sich die Opferkörbchen und steigt betörender Duft zu ihnen hoch. Ganesha fühlt sich wohl und zuhause in Balis wohlhabenden Kreisen, und wäre er nicht aus Stein, er würde vor Fett glänzen. Zufrieden und selbstgefällig präsentiert er seinem wohlgenährten, runden Kugelbauch, den er von den Passanten, die bei ihm vorübergehen, bewundern lässt. Er ist ein Patriarch, ein Beschützer und Wohltäter, der sich seiner Beliebtheit bewusst ist.
Shivas elefantenköpfiger Sohn genießt Prestige und er ist überall in Bali populär, wo sich Touristen niedergelassen haben. Das war vor zwanzig Jahren noch anders. Inzwischen hat er den im Tourismus engagierten Balinesen Reichtum und Glück beschert. Für die meisten Touristen ist Ganesha der einzige Gott des hinduistischen Pantheons, der ihnen aus ihrer Heimat vertraut ist, und den sie in ihrem Urlaub wiederfinden. Mittlerweile hat er sich in ihrem Gefolge in Bali einen festen Platz erobert.
Vielleicht liegt es an seinem Elefantenkopf, seinem sanften Lächeln und seiner friedlichen Ausstrahlung, dass er so beliebt ist. Seinen Elefantenkopf, so erzählt die Mythologie, bekam Ganesha durch ein Missgeschick seines Vaters Shiva, der ihn kurzerhand enthauptete, als dieser ihm den Weg ins Haus seiner Mutter Parvati verwehrte. Als ihm bewusst wurde, dass er sein Sohn war, befahl er einem Diener, ihm den Kopf irgendeines Lebewesens zu bringen, den er auf Ganeshas Rumpf setzte, um ihn ins Leben zurückzubringen. So wurde Ganesha auch Shivas Sohn, von dem er seine vier Arme erbte. Sie repräsentieren Dharma (Pflicht), Arta (Wohlstand), Kama (Liebe) und Moksa (Entrücktheit). In den Händen hält er eine Schriftrolle, die seine Gelehrsamkeit symbolisiert, einen Napf, in den er seinen Rüssel tunkt und Tirtha trinkt, das heilige Wasser, das seine Weisheit erhält, ein Beil, mit dem er die Menschen von den irdischen Banden befreit und eine Peitsche, mit der er das Böse verjagt. Der in Bali charakteristische Ganesha steht, und er heißt auch nicht Ganesha wie im indischen Hinduismus, sondern Ganesa.