Freitag, 10. Februar 2017

Aufs Neue


Ich breche um acht Uhr morgens auf, und bin Stunden unterwegs. Eine Erkundung. Ich halte es drinnen kaum aus. Zu Fuß, zuerst nach Ubud, dann durch die Reisfelder, die Sawahs, und auf Umwegen zurück nach Pengosekan, wo ich mich bei Nyoman und seiner Frau Ketut häuslich niederlassen habe. Njoman ist Maler und Unternehmer. Er malt farbige Bilder in einem naiven balinesischen Stil, der unerreicht berühmten Vorbildern nacheifert, wie sie in den Museen in Ubud ausgestellt sind. Nyoman besitzt ein Grundstück am Sungai Wos, in einem Kampong am Ortsrand von Pengosekan, dass wiederum zu Ubud gehört. Beide sind im europäischen Rentenalter, ihre Kinder haben eigene Familien und Wohnungen. In Bali besteht eine Wohnung aus einem Grundstück und mehreren Gebäuden, die wie Pavillions in einem ausgedehnten Garten liegen. Njomans besitzt ein Grundstück auf dem steileren Ufer des Wos. Es fällt so stark ab, dass Treppen nötig sind, um die Terrassen im zu überqueren. Zwei Pavillions, die Balé heißen, stehen leer, und Nyoman bietet sie auf AIRBNB an. Wir sind zeitgemäß, Nyoman und ich. Elektronische Kommunikation hat uns unkompliziert zusammengebracht. Trotzdem ist Nyoman Balinese und Indonesier. Kleidet sich synkretistisch, indonesisch und westlich. In Tracht habe ich ihn nie gesehen, kann ihn mir auch nicht gut darin vorstellen. Er ist gewohnt, mit Touristen zu verhandeln und zu verkehren. Darin ist er selbstbewusst und kompetent. Ein guter Geschäftsmann, der es seinen Kunden angenehm und leicht machen will. Ketut erlebe ich nur im Hintergrund. Sie ist die Herrscherin der häuslichen Sphäre, der die ich keinen Zugang habe. Mein Kontakt zu Nyoman ist öffentlich. Ketut bringt mit täglich Frühstück in mein Balè - Reis, Früchte und Tee - stellt es mir leise auf den Tisch auf der Veranda. Oft bemerke ich sie kaum. Ketut, traditionell in Sarong und Kebaya gekleidet, bringt ihren Gästen die Grundlagen der Bahasa Indonesia bei. Ich glaube beide sind enttäuscht, dass ich keinen Unterricht nehmen muss, und keinen ihrer Scooter leihe. Sie verstehen nicht, dass ich zu Fuß gehen will. Niemand in Bali, der über finanzielle Mittel verfügt, tut das. Auf keinen Fall Touristen, die die Balinesen reich gemacht haben, sodass nun ihre Autos und Motorräder die Straßen verstopfen. Südbalis Hauptstraßen versinken in einer ununterbrochenen Rush Hour.

Dörfliche Szene in Pengosekan

Letztendlich verlaufe ich mich doch, es hat sich zu viel verändert. Das Straßennetz gibt es noch, aber von der Architektur an den Rändern, erkenne ich nicht viel wieder. Verlaufen ist immer konstruktiv. Man darf nicht darüber hinwegtäuschen, und glauben, es ist ein Problem. Ganz im Gegenteil: Wenn ich mich verlaufe, gerate ich häufig in spannende Situationen mit hohem Erlebniswert. Als ich jede Orientierung verliere, frage ich ein paar Jugendliche, die am Tor einer Grundschule herumlungern, und versuchen, sich einen Spaß mit mir zu machen. Sie zeigen mir eine interessante Abkürzung: durch Reisfelder, die versteckt zwischen Gehöften und Hotels liegen, durch die Hintertür in einen wunderschönen Park mit Luxushotel, Restaurant, Galerien und Museen für balinesische Malerei. ARMA, Agung Rai Museum Of Art, heißt das Ressort. Durch die Vordertür sind 80.000 IDR Eintritt fällig. Es ist 13 Uhr, in Berlin früher Morgen.

Ich habe meinen ersten Kopi Bali getrunken. Sehr gewöhnungsbedürftig. Selbst den Kaffee hatte ich anders in Erinnerung. Mir scheint, er schmeckte früher ganz anders. Made setzt sich zu mir an den Tisch, ein Maler, der mir von sich und seinen Bildern erzählt. Made malt im Batuan-Stil: dörfliche Bali-Szenen, ursprünglich nur in Schwarz-Weiß ausgeführt. Heute wird auch in Farbe gemalt, sagt Made. Er zeigt mir in einem Katalog mit verschiedenen Beispielen, auch den dramatisch inszenierten Untergang der Titanic. ComicArt im Batuan-Stil. Mir gefallen die einfachen, monochromen Gemälde besser, die ich aus den Museen kenne. Sie sind atmosphärisch dichter und lassen der eigenen Imagination mehr Raum. Gestern, so erzählt er mir, hat er ein großes Bild an javanische Touristen aus Yogyakarta verkauft. Mit ausgestreckten Armen deutet er die Größe an; zwei Meter lang, ein Meter breit.
Viele Javaner machen inzwischen in benachbarten Bali Urlaub; verschleierte Frauen mit ihren Männern und Söhnen in kurzen Hosen und T-Shirt. Mich mutet eigenartig an, welche Freiheiten sich die Männer nehmen, und was sie ihren Frauen zumuten. Ich kann einfach glauben, dass sie sich freiwillig so verhüllen, und glücklich und zufrieden sind. Vielleicht liegt das nur daran, dass ich kein gläubiger Mensch bin. Ich vermute aber, dass sie Repressalien fürchten. Made will mich als Kunden gewinnen. Ich sage ihm langsam, denn ich bin erst vor zwei Tagen angekommen. Es ist noch zu früh, etwas einzukaufen, sage ich ihm, und weiß genau, dass ich nichts kaufen werde. Ich habe noch kaum etwas gesehen. Dass ich nicht zum Einkaufen nach Bali gekommen bin, sage ich ihm nicht. Enttäuscht beendet er sein Verkaufsgespräch und geht seiner Wege. Er glaubt, er hat Zeit mit mir verschwendet, während ich meine erste Unterhaltung auf Indonesisch genossen habe. Aber auch das ist Bali, und war es schon immer. Die Beziehung zwischen Balinesen und Besucher kommt selten über den Zweck hinaus.

In Ubud hat sich sehr viel zu viel zum Schlechteren verändert. Ich werde mich bemühen müssen, nicht nur durch eine Brille zu schauen. Mich schmerzt, dass ich kaum etwas wiedererkenne. Es kommt mir vor, als wäre ich nie hier gewesen. Die Gefühle, die meine Erinnerungen auslösen, reiben sich hart an der Wirklichkeit. Durch die wenigen Hauptstraßen des Orts fließt Verkehr ohne Unterlass. Es ist eng für Fußgänger, und ich muss mich oft an die Hauswand drücken, oder in einen Eingang ausweichen. Zwischen Autoverkehr und Geschäften ist nicht viel Raum geblieben. Ich könnte mich auch durch Restaurants und Shops vorwärtsbewegen. Es fällt mir schwer, auf die andere Straßenseite zu kommen, motorisierte Verkehrsteilnehmer fordern absolute Priorität. Die Balinesen in Ubud sind keine Fußgänger mehr. Kaum einer von ihnen flaniert die Straßen entlang, wo es von Touristen wimmelt. Im Straßenverkehr stehen die Fußgänger in der letzten Reihe, denn der Verkehr fließt fast pausenlos. In Ubuds Straßen und Gassen werde ich zu einem Lückenspringer, der schnell und oft gewagt die Seiten wechselt.
Überall sehe ich neue Gebäude, moderne Architektur zwischen den Resten des alten Ubud. Vor der Pura Sukawati im Zentrum, mit dem schönen Lotusteich auf dem Vorplatz des Tempels, hat sich Starbucks breit gemacht. Das riesige, zweistöckige Gebäude versperrt die Sicht auf den Teich, an dem ich früher so oft im Schatten großer Bäume gesessen habe. Peinlich biedert Starbuck sich mit seinem Neubau dem Stil balinesischer Architektur an, gibt vor, schon immer hier gestanden zu haben. Jeder, der diesen Ort von früher kennt, wird in dieser Veränderung keinen Vorteil sehen. Das kapitalistische Unternehmen, mit Preisen wie in Europa, die sich kaum ein Balinese leisten kann, versteckt sich hinter einer Maske, bietet dem Betrachter eine Fassade, die leicht zu durchschauen ist. Vielleicht fällt es mir nur schwer, Neues anzunehmen, wenn das Vorhandene emotional besetzt ist. Die Schönheit und erhabene Atmosphäre der Pura Sukawati mit dem Lotusteich ist zerstört. Sie verschwindet völlig hinter Starbucks gieriger Fassade. Den großen, freien Platz, den die Pura einst konkurrenzlos beherrschte, das Ensemble, das in jedem Stein, in jeder Verzierung, balinesische Kultur ausdrückte, ist von der Straße nicht einmal mehr zu sehen. Eingeengt und unsichtbar liegt es hinter dem einstöckigen Starbucks-Gebäude, das sich immerhin daran hält, nicht höher als die Gebäude in der Umgebung zu sein. Erst als ich um den Starbucks-Block herumgehe, sehe ich die Pura und was ihr angetan wurde Was hat Starbucks für die Konzession, an dieser Stelle bauen zu dürfen, bezahlt? Oder muss ich fragen: Wen hat der Konzern bestochen?  Korruption, die Gier nach noch mehr Reichtum und Macht. Auch wenn sich Starbucks besonderer Nachhaltigkeit rühmt, muss man daran denken, wenn man bei Starbucks Kaffee trinkt.
Über den einst malerischen Teich führt nun ein gemauerter Weg, der das große, rechteckige Becken in zwei kleinere Teiche unterteilt. Aus dem einstigen kleinen und gemütlichen Café Lotus, am linken Ufer des Teichs, ist ein großes Luxusrestaurant geworden, das den Teich zusätzlich einengt. Der Lotus ist verblüht, die Pflanzen teilweise verwelkt. Bald teilen die Gebäude des Tempels das Schicksal der Pflanzen. Den Markt in Ubud, einst ein freier Platz unter großen, schattenspendenden Bäumen, ist einem Gebäude gewichen, in dem sich auf zwei Etagen die Souvernirshops mit balinesischem Kunsthandwerk sehr unterschiedlicher Qualität zusammendrängen. Der ehemaligen Nachtmarkt, wo ich mir unter Balinesen jeden Abend die Köstlichkeiten der Küche schmecken ließ, und viele gute Gespräche führte, gibt es nicht mehr. Ob es ihn wo anders überhaupt noch gibt, kann ich nicht herausfinden. Ich bemühe mich, nicht enttäuscht zu sein, denn ich weiß, kultureller Wandel ist unvermeidbar. Das sagt mir mein Kopf. Doch es fühlt sich nicht so an: Ubuds Modernisierung und Eintritt in die globalisierte Welt.

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