Ich breche um acht Uhr morgens auf, und bin Stunden unterwegs. Eine
Erkundung. Ich halte es drinnen kaum aus. Zu Fuß, zuerst nach Ubud, dann durch
die Reisfelder, die Sawahs, und auf Umwegen zurück nach Pengosekan, wo ich mich
bei Nyoman und seiner Frau Ketut häuslich niederlassen habe. Njoman ist Maler
und Unternehmer. Er malt farbige Bilder in einem naiven balinesischen Stil, der
unerreicht berühmten Vorbildern nacheifert, wie sie in den Museen in Ubud
ausgestellt sind. Nyoman besitzt ein Grundstück am Sungai Wos, in einem Kampong
am Ortsrand von Pengosekan, dass wiederum zu Ubud gehört. Beide sind im
europäischen Rentenalter, ihre Kinder haben eigene Familien und Wohnungen. In
Bali besteht eine Wohnung aus einem Grundstück und mehreren Gebäuden, die wie
Pavillions in einem ausgedehnten Garten liegen. Njomans besitzt ein Grundstück
auf dem steileren Ufer des Wos. Es fällt so stark ab, dass Treppen nötig sind,
um die Terrassen im zu überqueren. Zwei Pavillions, die Balé heißen, stehen
leer, und Nyoman bietet sie auf AIRBNB an. Wir sind zeitgemäß, Nyoman und ich.
Elektronische Kommunikation hat uns unkompliziert zusammengebracht. Trotzdem
ist Nyoman Balinese und Indonesier. Kleidet sich synkretistisch, indonesisch
und westlich. In Tracht habe ich ihn nie gesehen, kann ihn mir auch nicht gut
darin vorstellen. Er ist gewohnt, mit Touristen zu verhandeln und zu verkehren.
Darin ist er selbstbewusst und kompetent. Ein guter Geschäftsmann, der es
seinen Kunden angenehm und leicht machen will. Ketut erlebe ich nur im
Hintergrund. Sie ist die Herrscherin der häuslichen Sphäre, der die ich keinen
Zugang habe. Mein Kontakt zu Nyoman ist öffentlich. Ketut bringt mit täglich
Frühstück in mein Balè - Reis, Früchte und Tee - stellt es mir leise auf den
Tisch auf der Veranda. Oft bemerke ich sie kaum. Ketut, traditionell in Sarong
und Kebaya gekleidet, bringt ihren Gästen die Grundlagen der Bahasa Indonesia
bei. Ich glaube beide sind enttäuscht, dass ich keinen Unterricht nehmen muss,
und keinen ihrer Scooter leihe. Sie verstehen nicht, dass ich zu Fuß gehen
will. Niemand in Bali, der über finanzielle Mittel verfügt, tut das. Auf keinen
Fall Touristen, die die Balinesen reich gemacht haben, sodass nun ihre Autos
und Motorräder die Straßen verstopfen. Südbalis Hauptstraßen versinken in einer
ununterbrochenen Rush Hour.
Dörfliche Szene in Pengosekan |
Letztendlich verlaufe
ich mich doch, es hat sich zu viel verändert. Das Straßennetz gibt es noch, aber
von der Architektur an den Rändern, erkenne ich nicht viel wieder. Verlaufen
ist immer konstruktiv. Man darf nicht darüber hinwegtäuschen, und glauben, es
ist ein Problem. Ganz im Gegenteil: Wenn ich mich verlaufe, gerate ich häufig
in spannende Situationen mit hohem Erlebniswert. Als ich jede Orientierung verliere,
frage ich ein paar Jugendliche, die am Tor einer Grundschule herumlungern, und versuchen,
sich einen Spaß mit mir zu machen. Sie zeigen mir eine interessante Abkürzung:
durch Reisfelder, die versteckt zwischen Gehöften und Hotels liegen, durch die
Hintertür in einen wunderschönen Park mit Luxushotel, Restaurant, Galerien und
Museen für balinesische Malerei. ARMA, Agung Rai Museum Of Art, heißt das
Ressort. Durch die Vordertür sind 80.000 IDR Eintritt fällig. Es ist 13 Uhr, in
Berlin früher Morgen.
Ich habe
meinen ersten Kopi Bali getrunken. Sehr gewöhnungsbedürftig. Selbst den
Kaffee hatte ich anders in Erinnerung. Mir scheint, er schmeckte früher ganz
anders. Made setzt sich zu mir an den Tisch, ein Maler, der mir von sich und
seinen Bildern erzählt. Made malt im Batuan-Stil: dörfliche Bali-Szenen,
ursprünglich nur in Schwarz-Weiß ausgeführt. Heute wird auch in Farbe gemalt,
sagt Made. Er zeigt mir in einem Katalog mit verschiedenen Beispielen, auch den
dramatisch inszenierten Untergang der Titanic. ComicArt im Batuan-Stil. Mir
gefallen die einfachen, monochromen Gemälde besser, die ich aus den Museen
kenne. Sie sind atmosphärisch dichter und lassen der eigenen Imagination mehr
Raum. Gestern, so erzählt er mir, hat er ein großes Bild an javanische
Touristen aus Yogyakarta verkauft. Mit ausgestreckten Armen deutet er die Größe
an; zwei Meter lang, ein Meter breit.
Viele Javaner
machen inzwischen in benachbarten Bali Urlaub; verschleierte Frauen mit ihren
Männern und Söhnen in kurzen Hosen und T-Shirt. Mich mutet eigenartig an,
welche Freiheiten sich die Männer nehmen, und was sie ihren Frauen zumuten. Ich
kann einfach glauben, dass sie sich freiwillig so verhüllen, und glücklich und
zufrieden sind. Vielleicht liegt das nur daran, dass ich kein gläubiger Mensch
bin. Ich vermute aber, dass sie Repressalien fürchten. Made will mich als
Kunden gewinnen. Ich sage ihm langsam, denn ich bin erst vor zwei Tagen
angekommen. Es ist noch zu früh, etwas einzukaufen, sage ich ihm, und weiß
genau, dass ich nichts kaufen werde. Ich habe noch kaum etwas gesehen. Dass ich
nicht zum Einkaufen nach Bali gekommen bin, sage ich ihm nicht. Enttäuscht
beendet er sein Verkaufsgespräch und geht seiner Wege. Er glaubt, er hat Zeit
mit mir verschwendet, während ich meine erste Unterhaltung auf Indonesisch
genossen habe. Aber auch das ist Bali, und war es schon immer. Die Beziehung
zwischen Balinesen und Besucher kommt selten über den Zweck hinaus.
In Ubud hat
sich sehr viel zu viel zum Schlechteren verändert. Ich werde mich bemühen
müssen, nicht nur durch eine Brille zu schauen. Mich schmerzt, dass ich kaum
etwas wiedererkenne. Es kommt mir vor, als wäre ich nie hier gewesen. Die
Gefühle, die meine Erinnerungen auslösen, reiben sich hart an der Wirklichkeit.
Durch die wenigen Hauptstraßen des Orts fließt Verkehr ohne Unterlass. Es ist
eng für Fußgänger, und ich muss mich oft an die Hauswand drücken, oder in einen
Eingang ausweichen. Zwischen Autoverkehr und Geschäften ist nicht viel Raum
geblieben. Ich könnte mich auch durch Restaurants und Shops vorwärtsbewegen. Es
fällt mir schwer, auf die andere Straßenseite zu kommen, motorisierte
Verkehrsteilnehmer fordern absolute Priorität. Die Balinesen in Ubud sind keine
Fußgänger mehr. Kaum einer von ihnen flaniert die Straßen entlang, wo es von
Touristen wimmelt. Im Straßenverkehr stehen die Fußgänger in der letzten Reihe,
denn der Verkehr fließt fast pausenlos. In Ubuds Straßen und Gassen werde ich
zu einem Lückenspringer, der schnell und oft gewagt die Seiten wechselt.
Überall sehe
ich neue Gebäude, moderne Architektur zwischen den Resten des alten Ubud. Vor
der Pura Sukawati im Zentrum, mit dem schönen Lotusteich auf dem Vorplatz des
Tempels, hat sich Starbucks breit gemacht. Das riesige, zweistöckige Gebäude
versperrt die Sicht auf den Teich, an dem ich früher so oft im Schatten großer
Bäume gesessen habe. Peinlich biedert Starbuck sich mit seinem Neubau dem Stil
balinesischer Architektur an, gibt vor, schon immer hier gestanden zu haben.
Jeder, der diesen Ort von früher kennt, wird in dieser Veränderung keinen
Vorteil sehen. Das kapitalistische Unternehmen, mit Preisen wie in Europa, die
sich kaum ein Balinese leisten kann, versteckt sich hinter einer Maske, bietet
dem Betrachter eine Fassade, die leicht zu durchschauen ist. Vielleicht fällt es
mir nur schwer, Neues anzunehmen, wenn das Vorhandene emotional besetzt ist.
Die Schönheit und erhabene Atmosphäre der Pura Sukawati mit dem Lotusteich ist
zerstört. Sie verschwindet völlig hinter Starbucks gieriger Fassade. Den
großen, freien Platz, den die Pura einst konkurrenzlos beherrschte, das
Ensemble, das in jedem Stein, in jeder Verzierung, balinesische Kultur
ausdrückte, ist von der Straße nicht einmal mehr zu sehen. Eingeengt und
unsichtbar liegt es hinter dem einstöckigen Starbucks-Gebäude, das sich
immerhin daran hält, nicht höher als die Gebäude in der Umgebung zu sein. Erst
als ich um den Starbucks-Block herumgehe, sehe ich die Pura und was ihr angetan
wurde Was hat Starbucks für die Konzession, an dieser Stelle bauen zu dürfen,
bezahlt? Oder muss ich fragen: Wen hat der Konzern bestochen? Korruption, die Gier nach noch mehr Reichtum
und Macht. Auch wenn sich Starbucks besonderer Nachhaltigkeit rühmt, muss man
daran denken, wenn man bei Starbucks Kaffee trinkt.
Über den
einst malerischen Teich führt nun ein gemauerter Weg, der das große,
rechteckige Becken in zwei kleinere Teiche unterteilt. Aus dem einstigen
kleinen und gemütlichen Café Lotus, am linken Ufer des Teichs, ist ein großes Luxusrestaurant
geworden, das den Teich zusätzlich einengt. Der Lotus ist verblüht, die
Pflanzen teilweise verwelkt. Bald teilen die Gebäude des Tempels das Schicksal
der Pflanzen. Den Markt in Ubud, einst ein freier Platz unter großen,
schattenspendenden Bäumen, ist einem Gebäude gewichen, in dem sich auf zwei
Etagen die Souvernirshops mit balinesischem Kunsthandwerk sehr
unterschiedlicher Qualität zusammendrängen. Der ehemaligen Nachtmarkt, wo ich
mir unter Balinesen jeden Abend die Köstlichkeiten der Küche schmecken ließ,
und viele gute Gespräche führte, gibt es nicht mehr. Ob es ihn wo anders
überhaupt noch gibt, kann ich nicht herausfinden. Ich bemühe mich, nicht
enttäuscht zu sein, denn ich weiß, kultureller Wandel ist unvermeidbar. Das
sagt mir mein Kopf. Doch es fühlt sich nicht so an: Ubuds Modernisierung und
Eintritt in die globalisierte Welt.
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