Ich gewöhne mich an die
unvertraute Umgebung, gehe täglich stundenlang herum, und orientiere mich. Das
ist so meine Art. Ich gehe mir meine Welt vertraut. An jedem Ort, bevor ich
emotional ankommen kann, muss ich mich zu Fuß mit ihm anfreunden. Ich muss die
Atmosphären spüren, die den Ort ausmachen, die Geräusche, Gerüche und das
Gesehene zusammenbringen. Vorher fühle ich mich nicht wohl in meiner Haut.
Ich habe den Markt der Früchte
und des Gemüses entdeckt, der früher auf dem Platz des Nachtmarkts stattfand.
Der viele Tinnef, den die Touristen brauchen, hat ihn an den Rand gedrängt. Der
Kunstmarkt, der Pasar Seni in Sukawati, war schon immer so. Jedenfalls
seit ich ihn kenne. Anfang der 1980er habe ich dort eine schwarze
Hanumanskulptur gekauft. Der weiße Affe aus dem Ramayana steht mit einem Fuß
auf dem Kopf eines sich windenden Drachens, aufrecht gestreckt, und die Faust
zum Schlag erhoben. Kunstvoll ist das Fell aus dem Holz herausgearbeitet. Die
bogenförmige Krone, die mich an einen Irokesenschopf erinnert, und der reich
gemusterte Gürtel, den er um die Hüften trägt, sind großartige
Holzschnitzkunst. Ebenholz, flüstert der Verkäufer ehrfürchtig. Schwer genug
ist die Skulptur, sodass ich ihm glaube, und den hohen Preis bezahle. Nach ein
paar Jahren in der Sonne auf meiner Fensterbank, kam unter dem schwarz,
hellbraunes Holz zum Vorschein.
Auf dem Markt in Ubud ging es
geschäftig zu. Lebendiges, braunweißes Gemenge von Männern und Frauen, die
handelten, bezahlten und die Waren auf dem Kopf oder in weißen Plastiktüten mit
breiten schwarzen Streifen nach Hause schleppten. Dazwischen wuselten Kinder
bei ihren Spielen. Meine Tasche ist gefüllt mit Obst: Salak, Bananen und Mango,
mit Räucherstäbchen, an denen ich eigenartigerweise nicht vorbeikam, und mit grünem
Tee. Am Straßenrand, im Schatten einer ausladenden Baumkrone, kaufe ich mir
einen Teller Bakso an einem einfachen Warung und esse zu Mittag. „Du alter
Romantiker“, denke ich und lächele. „Sei bloß still!“ antwortet mein anderes
Ich. Zwischen all dem Konsum lugt um jede Ecke mein Bali. Ich bin süchtig nach
Authentizität. Doch ich muss immer wieder durch den allgegenwärtigen Tourismus-Hype,
um meine Perlen zu finden. Ein Superangebot: Ich kann die leeren PET-Flaschen
nachfüllen und weiteren Plastikmüll vermeiden. Pondok Pekek heißt die
Zapfstelle am Fußballplatz in Ubud. Auf dem Schild am Eingang steht: Drei
Millionen Plastikflaschen werfen Touristen täglich in Bali fort. Unglaublich,
dass sich Tourismus und Umweltbewusstsein immer noch ausschließen.
Makakenfamilie am Parkplatz des Monkey Forest |
Noch immer noch Spurensuche.
Ich erkenne wenig wieder und beschäftige mich den Auswirkungen des kulturellen
Wandels. Ungewollt gerate ich in die Rolle des Beobachters. Konsum heißt das
Zauberwort, während es vor zwanzig Jahren um Kultur ging. So habe ich das
jedenfalls empfunden. Kommen alle die Besucher nur hierher, um zu konsumieren?
Sehen die Balinesen in einem Touristen nichts anderes als ein wirtschaftliches
Objekt? Erwarten sie nicht mehr von uns? Fast sieht es danach aus!
Nur zufällig finde ich den
berühmten Monkey Forest, nebenbei auf einem meiner Streifzüge, mit seinen
Makakenhorden und dem Totentempel, der Pura Desa. Keine Orang Utan wie in
Kiplings Dschungelbuch. Kein King Louis. An Dreistigkeit und
Aggressivität stehen sie diesen in nichts nach. Der Forest, ein Muss für
jeden Ubudbesuchers, gleicht einem Park. Eingezäunt war schon immer, aber den
Holzkasten, wo früher die Tickets verkauft wurden, hat ein steinernes
repräsentatives kassenhaus ersetzt, dessen Wände reliefgeschmückt sind. Davor
ein großer, den Durchgangsverkehr behindernder Parkplatz mit Personal in
traditioneller Tracht. Serviceschau für die Touristen, die in großen SUV mit
Chauffeur anrücken. An der Kasse hat sich eine Schlange gebildet. Zwischen all
dem pflegen die Makaken unbeeindruckt ihr Familienleben. Nur gelegentlich, wenn
ihnen unvorsichtige Besucher zu nahekommen, kreischen sie schrill und zeigen
ihre langen, spitzen Eckzähne. Ich erinnere mich gut an die Jahre, ich in
Indonesien lebte. Ich war mit meiner zweijährigen Tochter mehrmals zu Besuch.
Wir wanderten durch die Reisfelder von Peliatan nach Ubud, als der Weg noch
durch den Wald führte. Sie liebte die Affen trotz ihrer räuberischen Natur,
wenn auch nur vom Schutz meiner sicheren Schulter aus. Nicht nur der Zaun
zerschneidet den Weg, die Felder sind inzwischen auch bebaut. Alle Wege hierher
führen jetzt über stark befahrene Straßen und Asphalt. Der Affenwald liegt in
einer Senke, ein kleines Wäldchen, durch das sich jetzt ein Netz von
Spazierwegen zieht. Die Bäume sind voller Affen. Sie sitzen auf dem Zaun und
streunen zwischen den Bäumen umher. Sie tun harmlos, aber hinter ihren trägen
Mienen sind sie auf Beute aus.
Touristenmassen wälzen sich
durch die Heiligkeit des Wäldchens. Doch noch immer herrscht eine mystische
Atmosphäre, mysteriös und unheimlich. Besonders mit geschlossenen Augen, unter
den alten, riesigen Waringinbäumen, die vor dem Eingang wachsen. Ich sitze auf
einer Bordsteinkante, sehe den Affen zu, die zwischen den parkenden Autos nach
Nahrung suchen, ihre Kinder stillen oder sich gegenseitig von Flöhen befreien. Es
riecht grün und feucht, ein bisschen modrig. Über mir die Affen toben in den
Bäumen. Mir wird wirklich viel geboten. Auf dem Boden strömen die Touristen
herbei, busladungsweise. Sie wagen sich unter die Affen, manche zögerlich, sich
hinter ihre Begleitung duckend. Alles inklusive 40.000 IDR. Nicht für mich. Ich
war unter anderen Bedingungen im Affenwald. Während ich auf der Mauer des
großen Parkplatzes sitze und zuschaue, hocken sich die Makaken zu mir,
präsentieren mir ihre Babys, und begrüßen mich als ihren alten Bekannten.
Eine Stunde muss ich gehen, um den
Rand des Ubud-Tourismus zu erreichen. Ich wandere durch die Reisfelder, auf den
schmalen Dämmen über die Terrassen. Brache, Aussaat, Ernte, alles ereignet sich
gleichzeitig und auf engstem Raum. Wachsen, Werden und Vergehen. Leben, Tod und
Wiedergeburt. Ich sehe alles zusammen, soweit geht mein Blick. Es fällt nicht
schwer, zu begreifen, warum Reinkarnation in dieser Kultur einen so hohen Wert
besitzt. Männer, bis an die Waden mit Schlamm beschmiert, pflanzen den Reis an,
Frauen, die auf den trockenen Feldern ernten, den Reis schneiden und worfeln.
Dazwischen Rinder, auf ihrem Rücken weiße Kuhreiher, die jeden Abend, wenn die
sinkt, nach Petulu fliegen, wo ihre Nester sind. Eidechsen, Schmetterlinge und
Frösche kreuzen meinen Weg, um mich herum tropische Fülle, während ich müßig in
der Sonne sitze. Am Wegrand liegt ein toter Komodowaran, behauptet ein Junge.
Ein anderer ergreift, tollpatschig durch den Bewässerungsgraben platschend,
panisch die Flucht vor mir. Nur selten treffe ich auf jemanden, der genau so
verrückt ist, wie ich. Auf jemanden, der zu Fuß geht. Mir geht es gut, es gibt
viel zu sehen, und ich bin mittendrin. Die Balinesen schütteln den Kopf. Über
dieses seltsame Verhalten. Wir sind das Geschäft, und sie wollen an uns
verdienen. Das unerwartete Verhalten macht sie fassungslos. Fast bekomme ich Schuldgefühle,
mich nicht im Taxi umherfahren zu lassen. Ich zitiere ihnen dann Goethe, den
alten Fuchs, zum Trotz: Nur wo du zu Fuß gewesen bist, entgegne ich
ihnen, warst du wirklich. Wir lachen gemeinsam, und sie verstehen mich.
Sie sagen: „Kuat!“, stark. Viele schöne Begegnungen, Small Talk über
Privates, Dies und Das und Land und Leute, und freundliche Begrüßungen.
Sprachakrobaten auf der Grenze zwischen indigen und fremd. Weihnachten für
Daheimgebliebene. Ich werde heute Abend eine Kerze anzünden, Tee kochen, meinen
Mini-Stollen essen und an zuhause denken. Ein Weihnachtsfest für Ausreißer.
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