Donnerstag, 9. Februar 2017

Die Affen gibt es noch


Ich gewöhne mich an die unvertraute Umgebung, gehe täglich stundenlang herum, und orientiere mich. Das ist so meine Art. Ich gehe mir meine Welt vertraut. An jedem Ort, bevor ich emotional ankommen kann, muss ich mich zu Fuß mit ihm anfreunden. Ich muss die Atmosphären spüren, die den Ort ausmachen, die Geräusche, Gerüche und das Gesehene zusammenbringen. Vorher fühle ich mich nicht wohl in meiner Haut.
Ich habe den Markt der Früchte und des Gemüses entdeckt, der früher auf dem Platz des Nachtmarkts stattfand. Der viele Tinnef, den die Touristen brauchen, hat ihn an den Rand gedrängt. Der Kunstmarkt, der Pasar Seni in Sukawati, war schon immer so. Jedenfalls seit ich ihn kenne. Anfang der 1980er habe ich dort eine schwarze Hanumanskulptur gekauft. Der weiße Affe aus dem Ramayana steht mit einem Fuß auf dem Kopf eines sich windenden Drachens, aufrecht gestreckt, und die Faust zum Schlag erhoben. Kunstvoll ist das Fell aus dem Holz herausgearbeitet. Die bogenförmige Krone, die mich an einen Irokesenschopf erinnert, und der reich gemusterte Gürtel, den er um die Hüften trägt, sind großartige Holzschnitzkunst. Ebenholz, flüstert der Verkäufer ehrfürchtig. Schwer genug ist die Skulptur, sodass ich ihm glaube, und den hohen Preis bezahle. Nach ein paar Jahren in der Sonne auf meiner Fensterbank, kam unter dem schwarz, hellbraunes Holz zum Vorschein.
Auf dem Markt in Ubud ging es geschäftig zu. Lebendiges, braunweißes Gemenge von Männern und Frauen, die handelten, bezahlten und die Waren auf dem Kopf oder in weißen Plastiktüten mit breiten schwarzen Streifen nach Hause schleppten. Dazwischen wuselten Kinder bei ihren Spielen. Meine Tasche ist gefüllt mit Obst: Salak, Bananen und Mango, mit Räucherstäbchen, an denen ich eigenartigerweise nicht vorbeikam, und mit grünem Tee. Am Straßenrand, im Schatten einer ausladenden Baumkrone, kaufe ich mir einen Teller Bakso an einem einfachen Warung und esse zu Mittag. „Du alter Romantiker“, denke ich und lächele. „Sei bloß still!“ antwortet mein anderes Ich. Zwischen all dem Konsum lugt um jede Ecke mein Bali. Ich bin süchtig nach Authentizität. Doch ich muss immer wieder durch den allgegenwärtigen Tourismus-Hype, um meine Perlen zu finden. Ein Superangebot: Ich kann die leeren PET-Flaschen nachfüllen und weiteren Plastikmüll vermeiden. Pondok Pekek heißt die Zapfstelle am Fußballplatz in Ubud. Auf dem Schild am Eingang steht: Drei Millionen Plastikflaschen werfen Touristen täglich in Bali fort. Unglaublich, dass sich Tourismus und Umweltbewusstsein immer noch ausschließen.


Makakenfamilie am Parkplatz des Monkey Forest

Noch immer noch Spurensuche. Ich erkenne wenig wieder und beschäftige mich den Auswirkungen des kulturellen Wandels. Ungewollt gerate ich in die Rolle des Beobachters. Konsum heißt das Zauberwort, während es vor zwanzig Jahren um Kultur ging. So habe ich das jedenfalls empfunden. Kommen alle die Besucher nur hierher, um zu konsumieren? Sehen die Balinesen in einem Touristen nichts anderes als ein wirtschaftliches Objekt? Erwarten sie nicht mehr von uns? Fast sieht es danach aus!

Nur zufällig finde ich den berühmten Monkey Forest, nebenbei auf einem meiner Streifzüge, mit seinen Makakenhorden und dem Totentempel, der Pura Desa. Keine Orang Utan wie in Kiplings Dschungelbuch. Kein King Louis. An Dreistigkeit und Aggressivität stehen sie diesen in nichts nach. Der Forest, ein Muss für jeden Ubudbesuchers, gleicht einem Park. Eingezäunt war schon immer, aber den Holzkasten, wo früher die Tickets verkauft wurden, hat ein steinernes repräsentatives kassenhaus ersetzt, dessen Wände reliefgeschmückt sind. Davor ein großer, den Durchgangsverkehr behindernder Parkplatz mit Personal in traditioneller Tracht. Serviceschau für die Touristen, die in großen SUV mit Chauffeur anrücken. An der Kasse hat sich eine Schlange gebildet. Zwischen all dem pflegen die Makaken unbeeindruckt ihr Familienleben. Nur gelegentlich, wenn ihnen unvorsichtige Besucher zu nahekommen, kreischen sie schrill und zeigen ihre langen, spitzen Eckzähne. Ich erinnere mich gut an die Jahre, ich in Indonesien lebte. Ich war mit meiner zweijährigen Tochter mehrmals zu Besuch. Wir wanderten durch die Reisfelder von Peliatan nach Ubud, als der Weg noch durch den Wald führte. Sie liebte die Affen trotz ihrer räuberischen Natur, wenn auch nur vom Schutz meiner sicheren Schulter aus. Nicht nur der Zaun zerschneidet den Weg, die Felder sind inzwischen auch bebaut. Alle Wege hierher führen jetzt über stark befahrene Straßen und Asphalt. Der Affenwald liegt in einer Senke, ein kleines Wäldchen, durch das sich jetzt ein Netz von Spazierwegen zieht. Die Bäume sind voller Affen. Sie sitzen auf dem Zaun und streunen zwischen den Bäumen umher. Sie tun harmlos, aber hinter ihren trägen Mienen sind sie auf Beute aus.
Touristenmassen wälzen sich durch die Heiligkeit des Wäldchens. Doch noch immer herrscht eine mystische Atmosphäre, mysteriös und unheimlich. Besonders mit geschlossenen Augen, unter den alten, riesigen Waringinbäumen, die vor dem Eingang wachsen. Ich sitze auf einer Bordsteinkante, sehe den Affen zu, die zwischen den parkenden Autos nach Nahrung suchen, ihre Kinder stillen oder sich gegenseitig von Flöhen befreien. Es riecht grün und feucht, ein bisschen modrig. Über mir die Affen toben in den Bäumen. Mir wird wirklich viel geboten. Auf dem Boden strömen die Touristen herbei, busladungsweise. Sie wagen sich unter die Affen, manche zögerlich, sich hinter ihre Begleitung duckend. Alles inklusive 40.000 IDR. Nicht für mich. Ich war unter anderen Bedingungen im Affenwald. Während ich auf der Mauer des großen Parkplatzes sitze und zuschaue, hocken sich die Makaken zu mir, präsentieren mir ihre Babys, und begrüßen mich als ihren alten Bekannten.

Eine Stunde muss ich gehen, um den Rand des Ubud-Tourismus zu erreichen. Ich wandere durch die Reisfelder, auf den schmalen Dämmen über die Terrassen. Brache, Aussaat, Ernte, alles ereignet sich gleichzeitig und auf engstem Raum. Wachsen, Werden und Vergehen. Leben, Tod und Wiedergeburt. Ich sehe alles zusammen, soweit geht mein Blick. Es fällt nicht schwer, zu begreifen, warum Reinkarnation in dieser Kultur einen so hohen Wert besitzt. Männer, bis an die Waden mit Schlamm beschmiert, pflanzen den Reis an, Frauen, die auf den trockenen Feldern ernten, den Reis schneiden und worfeln. Dazwischen Rinder, auf ihrem Rücken weiße Kuhreiher, die jeden Abend, wenn die sinkt, nach Petulu fliegen, wo ihre Nester sind. Eidechsen, Schmetterlinge und Frösche kreuzen meinen Weg, um mich herum tropische Fülle, während ich müßig in der Sonne sitze. Am Wegrand liegt ein toter Komodowaran, behauptet ein Junge. Ein anderer ergreift, tollpatschig durch den Bewässerungsgraben platschend, panisch die Flucht vor mir. Nur selten treffe ich auf jemanden, der genau so verrückt ist, wie ich. Auf jemanden, der zu Fuß geht. Mir geht es gut, es gibt viel zu sehen, und ich bin mittendrin. Die Balinesen schütteln den Kopf. Über dieses seltsame Verhalten. Wir sind das Geschäft, und sie wollen an uns verdienen. Das unerwartete Verhalten macht sie fassungslos. Fast bekomme ich Schuldgefühle, mich nicht im Taxi umherfahren zu lassen. Ich zitiere ihnen dann Goethe, den alten Fuchs, zum Trotz: Nur wo du zu Fuß gewesen bist, entgegne ich ihnen, warst du wirklich. Wir lachen gemeinsam, und sie verstehen mich. Sie sagen: „Kuat!“, stark. Viele schöne Begegnungen, Small Talk über Privates, Dies und Das und Land und Leute, und freundliche Begrüßungen. Sprachakrobaten auf der Grenze zwischen indigen und fremd. Weihnachten für Daheimgebliebene. Ich werde heute Abend eine Kerze anzünden, Tee kochen, meinen Mini-Stollen essen und an zuhause denken. Ein Weihnachtsfest für Ausreißer.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen