Donnerstag, 2. Februar 2017

Die lieben Nachbarn


Ich sehe Männer auf dem brachliegenden, hinteren Teil des Nachbargrundstücks ins Gespräch vertieft. Schon seit Tagen gehen sie über das Grundstück, begutachten, diskutieren und überlegen. Sie machen auf mich einen ernsten Eindruck, als ob Schwerwiegendes zu entscheiden ist. Endlich verstehe ich: Sie planen die Rodungsarbeiten.

Das Nachbargrundstück grenzt an den Sungai Wos, an den Fluss, dessen Rauschen mir Tag und Nacht in die Ohren liegt, ein nie endendes Rauschen über Steine fließenden Wassers. Was planen Sie? Das nächste Hotel, wie auf den vielen anderen brachliegenden Grundstücken, an denen ich täglich vorbei vorkomme. Während Ubud noch expandiert, entstehen gleichzeitig schon Bauruinen, Betonfundamente mit Gerüsten aus Bambusstangen, halbfertig aufgegeben.
Vorgestern Nachmittag stand eine Gruppe festlich gekleideter Frauen mit Opfergaben, geweihtem Wasser und Gebeten auf der Gasse vor dem Eingangtor ins Gehöft von Nyomans Nachbarn. Der Torbogen wird auf beiden Seiten von zwei dämonischen Wächterfiguren geschützt, deren schreckliches Aussehen alles Böse bannen soll, damit der Haushalt sicher leben kann. Meistens steht noch ein laut kläffender Hund auf der Schwelle, dessen Präsenz auf mich überzeugender wirkt als die grimmig blickenden Wächter. Deren steinerne Schönheit beeindruckt mein ästhetisches Empfinden mehr, als die wütend verzogene Grimasse eines bellenden Hundes, die Fremde erfolgreicher vertreibt. Nicht nur die Frauen, auch die beiden Wächter sind festlich eingekleidet. Als ich vorbeigehe, werden sie gerade mit Weihwasser besprengt. Die Zeremonie, mit der die Erlaubnis zum Roden des Grundstücks eingeholt werden soll, findet in aller Öffentlichkeit statt. Das Stück Land, auf dem eben noch uneingeschränkt der Hahn geherrscht hat, derselbe übrigens, der mich jeden Morgen ungeniert weckt, gibt es vielleicht bald nicht mehr. Den stolz gefiederten Hinterhofherrscher hat wahrscheinlich niemand nach seiner Meinung gefragt. Als er heute Morgen erst viel später krähte, befürchtete ich zuerst, er ist der Feier des Tages zum Opfer gefallen, und werde heute die Gäste mit sich selbst bewirten. Der vernachlässigte Schrein, der bis dahin verlassen bergwärts blickte, trägt heute morgen ein neues Gewand. Feierlich eingekleidet, stellt er weiße und gelbe Tücher zur Schau, in die er eingewickelt ist. Eine dünne Rauchfahne steigt himmelwärts. Noch bevor es mir aufgefallen ist, hat ihn jemand mit Opfergaben überhäuft. Später kommt eine junge Frau und bringt weitere Opfergaben. Mit zwei Fingern ihrer rechten Hand sprenkelt sie Weihwasser auf den Schrein, und murmelt leise die Worte, die zum Gelingen des Opfers erforderlich sind. Ich vermute, dass die Mächte des spirituellen Reichs nun versöhnt sind, und den Frevel an der Natur, den jeder gewalttätige Eingriff der Kultur darstellt, verzeihen.


Götterschrein auf den Nachbargrundstück vor der Rodung

Seit gestern Morgen, kurz nach sechs Uhr, kreischen die Motorsägen, und bringen die Natur zum Schweigen. Respektvoll und eingeschüchtert steht der Hahn kleinlaut am Rand des Grundstücks, das einst sein Reich war. Anscheinend sind alle einverstanden, niemand hat ein Veto eingelegt. Seit heute Morgen wird gerodet. Die Böller der Freude, die die Feiernden gestern in den Himmel schickten, sind verklungen. Jetzt schreibt die Motorsäge den Arbeitsrhythmus vor. Das Nachbargrundstück liegt unter der gefällten und zersägten Vegetation begraben, darunter große Kokospalmen, die erst einmal sieben Jahre alt werden müssen, bevor die erste Nuss geerntet werden kann. Noch immer ist die Säge hungrig.
Gestern habe ich den ganzen Tag mit Schreiben verbracht. Den Sound der Säge im Ohr, kam ich zügig voran. Ich habe die bisherige Email-Korrespondenz gesichtet, noch einmal gelesen und in eine einheitliche Form gebracht. Interessant und spannend. Weblog und Tagebuch nehmen allmählich Gestalt an. Ich habe ein Fahrrad gemietet, ein leichtes, wendiges Mountainbike mit dem ich mutig im Slalom durch den dichten Verkehr navigiere. Ich wundere mich noch immer, wie gut das geht. Das Rad läuft flüssig, meine Kondition reicht, und ich komme mit den Steigungen zurecht, denn um Ubud breitet sich eine Mittelgebirgslandschaft aus, in der die Straßen entweder bergauf oder bergab führen. Ich fühle mich leichtsinnig. Doch es gefällt mir, wendig und kaum behindert durch die Staus zu fahren. Der Verkehr wirkt noch immer chaotisch auf mich, Aber jeder führt sein Fahrzeug rücksichtsvoll in Bezug auf die anderen Verkehrsteilnehmer. Ich fühle mich mittendrin sicherer, als am Straßenrand, wo man mich nicht als dazugehörig wahrnimmt. Die Balinesen sind umsichtige und defensive Fahrer. Trotzdem habe ich mir vorgenommen, kein Held zu sein. Auch heute regnet es immer wieder. Kein Problem, denn mit dem Fahrrad bin ich ohnehin ständig nass geschwitzt. Ich habe meine ganze Kleidung gewaschen. Plötzlich war mir mein eigener Schweißgeruch unangenehm. Jetzt hängt alles auf der Leine. Ich sitze entspannt auf der Terrasse und warte, dass alles trocknet. Bei der hohen Luftfeuchtigkeit wird es dauern. Ich gehe heute nicht mehr aus. Gestern hatte ich mein Neujahrs-Festessen, nachdem es Weihnachten ausgefallen ist. Ich war in einem Restaurant mit unerwartetem Schaukochen vor dem Eingang. Der Koch, ausstaffiert wie ein Fernsehkoch, mit hoch aufragender, weißer Kochmütze und weißer Schürze jonglierte mit Pfeffermühle, Salzstreuer und mehreren Eiern. Mit zwei Kochlöffeln bewaffnet, demonstrierte er seine Kochkunst artistisch auf der Herdplatte. Zirkusreif! Die Kinder hatten ihren Spaß und die vorbeischlendernden Touristen schauten gebannt zu. Eine gelungene Werbeaktion. Aber mein Essen war nicht halb so gut. Vielleicht lag das daran, dass es nicht aus der Hand des Starkochs kam; und es war viel zu teuer. Am liebsten esse ich in den kleinen Warungs. Ich mag die improvisierte Atmosphäre in den Imbissen, und schmecken tut es dort immer.

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