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Sonntag, 12. Februar 2017

Barong - ein Prolog


Ich erinnere mich daran, es heißt, Barong sei eine Abkürzung von beruang, Bär. Banasapati Raja, einer der vier spirituellen Geschwister der Menschen, soll das Vorbild für den Barong gewesen sein. Trotzdem wird in den Informationen für Touristen immer wieder von dem löwenähnlichen Charakter des Barongs gesprochen. Wie dem auch sei: Der Barong ist eine populäre folkloristische Gestalt aus der balinesischen Kultur. Bei Einheimischen wie Besuchern gleichermaßen. Wahrscheinlich ist er sehr alt, ein Fabeltier und vorhinduistisch, denn es gibt ihn auch in anderen asiatischen Kulturen. Das bedeutet: Er ein kollektiver Archetyp asiatischer Kulturen. Freunde von Mythen und Sagen wissen natürlich, dass es sich um ein universelles Symbol handelt. Schillernd und unheimlich verkörpert er je nach kulturellem Umfeld Gutes oder Böses. Die unterschiedlichen Weltkulturen konnten sich darin nicht einig werden. Der Barong jedenfalls erinnert mehr an Fufur, den Glücksdrachen in Michael Ende Unendlicher Geschichte, als an Glaurung, den Drachen in J.R.R. Tolkiens Novelle Túrin Turambar.

Montag, 6. Februar 2017

In Sanur


Ich mache mich auf den Weg nach Sanur. Es fängt an zu regnen, obwohl der Himmel eben noch blau war und die Sonne schien. Meine Gastgeberin meint: "Heute wird es nicht regnen!" So geht es mir manches Mal, denn auch Balinesen wissen nicht genau, wie das Wetter wird. Aber viel Regen wird nicht fallen. Über dem Hausdach gegenüber schiebt sich Blaues zwischen die weißen Wattewolken.
Ich fahre mit dem Perama-Bus nach Sanur, ans Meer, um das Geschenk meines Freundes abzuliefern. Eine Fahrt, durch die Kunsthandwerkerdörfer südlich von Ubud und an Denpasar vorbei, wo der Verkehr großstädtisch wird. Eine kurzweilige Fahrt. In Sanur steige ich am entgegengesetzten Ende des Städtchens aus. Bis zum Restoran Piti-Piti muss ich quer durch den Ort gehen. Ich brauche anderthalb Stunden durch Sanur, und was ich sehe, ist genug. Einmal durch den Ort, vom einen Ende zum anderen. Sanur bildet einen interessanten Kontrast zu Ubud. Ich war noch nie in Sanur, und gewinne einen ersten Eindruck. Eine völlig andere Atmosphäre, entspannter, viel weniger Verkehr, auf der Hauptstraße eine Bemolinie, nicht so viel Tinnef, viel weniger Geschäfte, dafür aber viele große Luxushotels. Es ist ruhiger und gelassener in Sanur als in Ubud und Umgebung, wo sich die Autoschlangen tagein, tagaus, durch die Straßen schieben.


Sonntag, 5. Februar 2017

Kein Vergleich


Ich habe den Eindruck, dass es seit Weihnachten in Ubud immer voller wird. Vor allem Australier und Japaner, dazwischen auffällig viele Russen und Chinesen. In Sanur fühlen sich die Härtetypen wohl: dicke, fette Männer, natürlich Aussies, mehr breit als hoch, kurze Hose mit ausgeleiertem T-Shirt, krass tätowiert, in jeder Hand eine Bierdose. Keine Ausnahme, ich habe so viele von ihnen gesehen, dass sie mir aufgefallen sind. Ich muss sie einfach erwähnen, denn sie bilden den Gegensatz all dessen, was Bali für mich ist.

Freitag, 3. Februar 2017

Goa Gajah et.al.


Ich bin seit fünf Stunden mit dem Rad unterwegs. Eine Stunde habe ich bei einer Flasche Teh Botol, gesüßtem Tee in der Flasche, und einem heftigen Tropenregen in einem Warung in Bedulu verbracht. Jetzt bin ich zurück in Ubud, in meinem Stammcafé und trinke . . . na was wohl?
Ich bin schon vor acht aufgebrochen und habe die archäologische Anlage der Goa Gajah fast eine ganze Stunde für mich allein. Welch ein friedlicher Ort! Eine Atmosphäre für Träume, still, das graue Gestein der Skulpturen und Bauten. Das mysteriöse Loch in der Wand, das eine verschlingende Fratze umrahmt. Alles eingebettet in ein mannigfaches Grün. Es fällt mir leicht, alles Urbane, Moderne und Kultivierte wegzudenken, mich der am frühen Morgen noch abgeschiedenen, archaischen Szenerie zu überlassen. Ich verstehe, warum die hinduistischen und später buddhistischen Mönche sich hierhin zurückgezogen haben. Ich sitze in einer ihrer aus dem Fels gehauenen, alterslosen Meditationsnischen und staune über die kaum spürbare Zeit, die seitdem vergangen ist.

Auf dem Campuan-Kamm


Ich höre jetzt immer häufiger, dass in Deutschland der Winter eingetroffen ist. Es ist sehr kalt in der fernen Heimat. Minusgrade kann ich mir gerade nur schwer vorstellen: Minus fünf Grad und Sonnenschein in Berlin, zeigt mir jemand auf dem Smartphone. Ich erinnere mich, aber fühlen kann ich es gerade nicht. In Ubud ist es heute besonders drückend, denn es hat seit gestern wieder viel geregnet. Der Himmel hat sein Blau verloren. Es ist einheitlich grau. Meine Kleider sind seit Tagen feucht, nichts trocknet mehr und meine Nase beschwert sich über den muffigen Geruch.

Gestern war ich auf einer langen Wanderung durch Reisfelder und kleine Weiler unterwegs. Doch es gab kein Entkommen. Immer wieder stehe ich auf einer stark befahrenen Straße. Enge Landstraßen, auf denen ständig viel Verkehr herrscht. Kein Randstreifen, auf einen Bürgersteig zu hoffen ist vermessen. Kilometerlange, öde Asphaltbänder, grau wie der Himmel vor einem Wolkenbruch. Die Fahrzeuge rasen so dicht an mir vorbei, dass ich den Fahrtwind auf der Haut spüre. Doch ich erreiche Campuan unversehrt, und stehe dort, wo früher der Hotelpool war, und ich in der Schlucht am Ufer des Sungai Wos gesessen habe. Das Wasser bildete damals eine Bucht, in die die Jungen von einem Felsen sprangen und vergnügt herumtollten. Das Hotel mit dem Pool konnte ich zwischen den vielen neuen Häusern, Souvenirläden, Menschenansammlungen und Autoschlangen, die alles verstopfen und meinen Blick behindern, nicht mehr finden. Er ist nicht mehr da, wo er in meiner Erinnerung hingehört. Anscheinend gibt es den Pool nicht mehr, der noch dazu öffentlich war.  Ich schaue von der Brücke hinunter in den um Felsbrocken wirbelnden Fluss. Den Weg hinunter ins Flusstal, an den Zusammenfluss von Sungai Wos und Sungai Cerik, finde ich leicht wieder. Es stimmt mich fröhlich und glücklich zugleich, als ich unten am Ufer auf einem Geröllbrocken sitze, den Kopf voller Erinnerungen, die Brücke, weit über mir, wo unablässig der Verkehr lärmt.

Donnerstag, 2. Februar 2017

Die lieben Nachbarn


Ich sehe Männer auf dem brachliegenden, hinteren Teil des Nachbargrundstücks ins Gespräch vertieft. Schon seit Tagen gehen sie über das Grundstück, begutachten, diskutieren und überlegen. Sie machen auf mich einen ernsten Eindruck, als ob Schwerwiegendes zu entscheiden ist. Endlich verstehe ich: Sie planen die Rodungsarbeiten.

Das Nachbargrundstück grenzt an den Sungai Wos, an den Fluss, dessen Rauschen mir Tag und Nacht in die Ohren liegt, ein nie endendes Rauschen über Steine fließenden Wassers. Was planen Sie? Das nächste Hotel, wie auf den vielen anderen brachliegenden Grundstücken, an denen ich täglich vorbei vorkomme. Während Ubud noch expandiert, entstehen gleichzeitig schon Bauruinen, Betonfundamente mit Gerüsten aus Bambusstangen, halbfertig aufgegeben.
Vorgestern Nachmittag stand eine Gruppe festlich gekleideter Frauen mit Opfergaben, geweihtem Wasser und Gebeten auf der Gasse vor dem Eingangtor ins Gehöft von Nyomans Nachbarn. Der Torbogen wird auf beiden Seiten von zwei dämonischen Wächterfiguren geschützt, deren schreckliches Aussehen alles Böse bannen soll, damit der Haushalt sicher leben kann. Meistens steht noch ein laut kläffender Hund auf der Schwelle, dessen Präsenz auf mich überzeugender wirkt als die grimmig blickenden Wächter. Deren steinerne Schönheit beeindruckt mein ästhetisches Empfinden mehr, als die wütend verzogene Grimasse eines bellenden Hundes, die Fremde erfolgreicher vertreibt. Nicht nur die Frauen, auch die beiden Wächter sind festlich eingekleidet. Als ich vorbeigehe, werden sie gerade mit Weihwasser besprengt.

Dienstag, 31. Januar 2017

Barak und Agustinus


Ich fühle mich wohl in dem schwülen Klima, aber ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, morgens feuchte Kleidung anzuziehen. Mit dem Fahrrad unterwegs sein, bedeutet schwitzen und nass sein, und so ist es letztlich egal. Eine kurze Pause in der Sonne, und ich bin wieder trocken. Dann beginnt alles von vorne. Ich habe mir zwei dünne Baumwollhemden gekauft, wie sie die Balinesen tragen, ein weinrotes und ein blaues mit Dschungelmotiv.  Meine eigenen sind mir zu warm geworden. Hemden XXL, die indonesische Übergröße, beide aus synthetischen Garnen gefertigt. Sie trocknen zwar schnell, doch wenn sie erst schweißnass sind, riechen sie schnell unangenehm. Nun bin ich luftiger gekleidet, aber dem Schwitzen scheint das nicht zu imponieren.

Montag, 30. Januar 2017

Ein vertrödelter Tag


Ich hoffe, es war in Deutschland einfacher, mein Geld aufzugeben, als für mich, es hier wieder zu bekommen. Seit einer Stunde sitze ich nun in der Bank und warte. Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren. Ich friere. Wenn ich es richtig verstanden habe, hängt das Geld irgendwo im internationalen Bankorbit fest. Es scheint überwiesen zu sein, aber die Bank bekommt es nicht auszahlungsfrei. Alles klingt zuvorkommend und freundlich, aber auch sehr preußisch. Ich habe ganz vergessen, wie genau die indonesischen Behörden alles nehmen. Wiederholt wird alles kontrolliert, kontrolliert, kontrolliert, vom Sachbearbeiter über den Filialleiter bis zuletzt zum Kassierer. Beim letzten Mal – in Timor – hat mich das fast wahnsinnig gemacht.
Während ich warte, läuft die freundliche Sachbearbeiterin geschäftig hin und her. Sie vertröstet mich, erklärt mir was passiert und unternimmt alles Mögliche, um mir die Zeit zu vertreiben. Nachdem sie alles Wissenswerte über mich erfahren hat, muss ich den Platz für den nächsten Kunden räumen. Ich sitze noch fast eine Stunde zwischen den geduldig wartenden Balinesen und lausche auf das Klappern der Automaten, der nach und nach die Reihenfolge der Nummern ausspucken. Auch sie interessiert es, wer ich bin und was ich hier will. Dann werde ich aufgerufen und warte in einem anderen Wartebereich. Dann geht es plötzlich schnell. Alle Unterschriften sind geleistet, alle Marken auf die Formulare geklebt und alle Stempel getrocknet. Wieder muss ich warten, bis mich der Filialleiter persönlich an den Schalter ruft, und mir mein Geld auszahlt. Auch er will hören, wie mein Indonesisch ist. Test bestanden.

Sonntag, 29. Januar 2017

Tempel, Reis und Rituale


Ich wollte eigentlich schon gestern nach Tegallalang, doch die Bank hat mich zu lange aufgehalten. Anschließend war ich zu träge, um so spät noch aufzubrechen. Von Tag zu Tag wird es heißer und schwüler, Seit drei Tagen hat es nicht mehr geregnet. Ich weiß nicht mehr, wo ich die ganze Flüssigkeit zum Schwitzen hernehme. Ich bezweifele, dass ich so viel getrunken habe. Als ich am späten Nachmittag mein Fahrrad abgebe, sehen Hemd und Hose aus, als hätte man mich mit Wasser begossen.

Von den terrassierten Reisfeldern in Tegallalang heißt es, sie lohnen einen Besuch. Und das Dorf Petulu, mit der Kolonie der weißen Reiherkolonie, liegt am Weg. An der Kreuzung im Süden Ubuds, dort wo es nach Peliatan geht, nehme ich die ansteigende Straße in Richtung Kintamani. So heiß, wie es bereits morgens ist, fällt es mir schwer, mich für eine Bergfahrt zu begeistern. Schon nach dem Frühstück bin ich nass geschwitzt. Doch ich will nicht abreisen, ohne die viel gerühmten Reisterrassen von Tegallalang wiedergesehen zu haben. Trotz allem habe ich Lust aufs Fahrradfahren. Die Steigungen im Süden, vom Meer aus, sind moderat. Immer wieder werden sie von längeren Etappen ohne Steigung unterbrochen, nördlich von Ubud, in die Berge, fehlen diese Atempausen, in denen das Rad von selbst rollt. Wer sich mit dem Schwitzen abfindet, braucht keine besondere Kondition um nach Mas, zur Goa Gajah oder nach Sukawati zu fahren, nach Tegallalang oder weiter nach Tampaksiring sieht das schon anders aus. Ich habe Ubud kaum hinter mir gelassen, als mir das Hemd schon wieder am Rücken klebt.

Samstag, 28. Januar 2017

Dorf der weißen Reiher


Ich fahre die Straße immer weiter bergab. Das Radeln wird zum Genuss. Ich kühle ab, mein Hemd trocknet, und ich lasse mich durch die Landschaft treiben. Plötzlich biege ich um eine Kurve und bin in Petulu. Bevor ich den ersten Reiher sehe, höre ich ihr Trompeten und Gekreische. Der Geruch von Vogelkot schwängert die Luft über dem Dorf. Ammoniakdünste ziehen mir stechend in die Nase. Vor mir liegt eine lange, geradeaus abwärts führende Dorfstraße durch das Straßendorf Petulu. Auf beiden Seiten der Straße reihen sich traditionelle, ummauerte Gehöfte aneinander, die nur über eine Treppe und durch ein schmales Tor erreichbar sind. Viele von ihnen besitzen noch eine Geistermauer, die die Sicht ins Innere versperrt, und die Geister zwingt, um die Ecke zu gehen, was sie nicht können. Die Bewohner befinden sich in Sicherheit. Die Ränder der Straße säumen verschiedene, große und kleine Bäume. Rund um jeden Baum breitet sich ein halbrunder, vor Vogelkot starrender, weißer Fleck aus. Und während ich die Dorfstraße hinabfahre, klatscht es neben und hinter mir auf den Asphalt.

Freitag, 27. Januar 2017

Im Tal des Sungai Ayung


Ich kann es noch nicht wirklich glauben, aber es hat seit fünf Tagen nicht mehr geregnet. Für Januar, den regenreichsten Monat, nicht schlecht. Noch vor einer Stunde zogen aus Südosten schwarze Regenwolken auf.
„Es wird gleich regnen“, sagten die Männer im Warung, wo ich ausgehungert mein spätes Mittagessen verschlang. Ich habe ihnen geglaubt, und mich schnell auf den Weg nach Pengosekan gemacht.
So kurz vor meiner Abreise nach Munduk wollte ich nicht durchnässt nach Hause kommen, denn wenn erst einmal ein kräftiger Regen fällt, trocknet meine Hose nicht mehr bis Morgen. Ich habe nur die eine. Aber es regnet nicht, die schwarzen Wolken ziehen über mich hinweg. Wieder einmal war eine improvisierte Wettervorhersage falsch. Doch der Tag ist noch nicht zu Ende. Das Tal des Sungai Ayung lockt, des Flusses, der die Grenze zwischen den beiden Landkreisen Gianyar, zu dem auch Ubud gehört, und Badung, im Westen, bildet. Zwischen den beiden Territorien verläuft gleichzeitig eine andere, unsichtbare Grenze: der Ubud-Tourismus endet am Sungai Ayung. Die Regionalregierung in Badung hat strengere Auflagen. Man hat dort erkannt, dass hemmungsloser Tourismus schließlich dazu führt, dass keine Touristen mehr kommen. In Badung steht der Schutz von Natur und Kultur über der kapitalistischen, profitorientierten Ausbeutung dessen, was Bali vor kaum hundert Jahren noch war und fast schon nicht mehr ist. Die Wanderung durch das Tal des Ayung stimmt den Schlussakkord meiner drei Wochen in Ubud an. Bis zu jetzt habe ich gezögert, an den Ayung zu gehen, und mich erst beim morgendlichen Cappuccino entschieden. Ich kann mir nicht erklären, was diese emotionale Ambivalenz ausgelöst hat. Es scheint eine Hassliebe zu Ubud entstanden zu sein. Fragmente der alten Faszination lauern noch in allen Ecken. Doch ich bin es leid geworden, schon wieder durch das touristische Ubud zu laufen, bis ich endlich da ankomme, wohin es mich zieht. Ich bin genervt und psychisch und mental erschöpft. Aber es wäre außerordentlich schade gewesen, wäre ich zu Hause geblieben, und nicht durch das Tal des Ayung gewandert.

Donnerstag, 26. Januar 2017

Ubud - der letzte Blog


Ich bewege mich inzwischen auf dem schmalen Grad zwischen Tradition und Moderne. In Ubud, und es sieht so aus als betrifft dies den ganzen Süden Balis, ist das Pendel des kulturellen Wandel heftig in Richtung westliche Moderne ausgeschlagen. Die Tradition muss sich bemühen, Schritt zu halten, damit sie nicht mit der älteren Generation ausstirbt. Ich wohne in Pengosekan, drei Kilometer vom Zentrum von Ubud entfernt, wo es noch einigermaßen ruhig ist. Ubud selbst ist zu einem uniformen Zentrum des Tourismus verkommen, wie es sie weltweit gibt, ohne dass sich noch ein Ort vom anderen unterscheidet. Uniform und globalisiert, kulturell nivelliert. Wer aus Europa nach Ubud kommt, kann sich den Weg sparen. Es ist einfacher, schneller und preiswerter nach Mallorca zu fliegen. Der letzte Rest authentischer, balinesischer Kultur, der geblieben ist, findet nicht mehr in der Öffentlichkeit statt. Was zu sehen, zu spüren, zu erleben, zu schmecken, riechen und zu hören ist, ist weiter nichts, als eine aufgehübschte Fassade für den zahlenden Gast.

Dienstag, 24. Januar 2017

Bali-Hotspots


Ich liege lesend auf dem Bett, als Made, der mich vor ein paar Wochen vom Flughafen abgeholt hat, vor der Terrasse steht und ruft:
„Sudah siap?“ Ob ich fertig bin, will er wissen. 
Seit acht Uhr morgens habe ich gepackt. Ich bin bereit für Munduk. Für elf Uhr sind wir verabredet, aber Made hat heute Zeit und keine weiteren Fahrgäste. Er meint, auf dem Weg nach Munduk werde er mir ein paar Sehenswürdigkeiten zeigen. Kein Aufpreis für mich, fügt er verschwörerisch lächelnd hinzu. Bei ihm kommt zuerst der Mensch, dann das Geld, flüstert er mir verschwörerisch zu. Wir leben alle in einer Welt, erklärt er mir, wir sind eins mit ihr und miteinander, und unsere Aufgabe ist es, für Harmonie zu sorgen. Also verabreden wir uns für zehn Uhr. Made wartet vorne bei Nyoman im Pavillon, bis ich fertig bin. Sie sind alte Freunde und mittlerweile auch Geschäftspartner. Es kommt ihm nicht darauf an, Zeit zu sparen. Er wollte mich aus meiner Untätigkeit erlösen, die das Warten mit sich brachte. Meine Geduld ist mit seiner nicht zu vergleichen.
Der Abschied von Nyoman und Ketut nimmt wenig Zeit in Anspruch. Emotional sind beide zurückhaltend, respektvoll freundlich, aber aus der Distanz. Nyomans Frau begleitet mich hinaus, wo Made gerade versucht seinen SUV in der engen Gasse vor dem Gehöft zu wenden. Letzte Worte, vielen Dank für die gute Versorgung während meines Aufenthalts, gute Reise und gutes Bleiben. Wir wissen alle, wie unwahrscheinlich es ist, dass wir uns wiedersehen. Ein sampai lagi, bis bald, kommt keinem von uns den Lippen. Ich war ein geschätzter Gast in Nyomans Haus, kein Verwandter, kein Freund. Ich bin jemand, der vorbeikommt, kurz bleibt und dann weiterzieht.

Montag, 23. Januar 2017

In Munduk


Ich erwarte im abgelegenen Bergdorf Munduk nicht das Gedränge der Touristen, die beinahe Tag und Nacht durch das mondäne Ubud flanierten. Alles spricht für eine authentischere Landschaft, für Naturkulissen, Berge und lange Wanderungen. Mein neues Domizil, Edy´s Homestay, liegt unterhalb der Hauptstraße, die Buleleng mit Tabanan verbindet, und die Munduk in zwei Hälften zerschneidet; ein paar hundert Meter unterhalb der Nebenstraße nach Gesing, die sich steil den Berg hinab windet. Edy´s ist nur halb belegt. Von den zwei freien Zimmern, weitere werden gerade in Eigenleistung von der Familie gebaut, kann ich mir eines aussuchen. Ein noch sehr neues, dreistöckiges Haus, gerade einmal die zwei Zimmer breit, lehnt wie ein rückwärts geneigter Turm unmittelbar am Hang. Das Homestay ist Teil eines Gebäudeensembles, von denen zwei Häuser von der Familie bewohnt werden: der Großmutter, den Eltern und ihren beiden halbwüchsigen Kindern. Ein kleiner, für balinesische Verhältnisse entspannter Hund gehört mit dazu. Die Kinder toben vergnügt über den Hof, Hühner gackern aufgeregt und lautstark und die Erwachsenen gehen gelassen ihren Arbeiten nach.
Die Landschaft und der Blick auf die Berge sind vielversprechend. Mein Gastgeber reicht mir, kaum dass ich beim Kaffee sitze, eine Liste herüber, auf der verschiedene Trekkingrouten in die Umgebung aufgelistet sind. Und schon ist sie wieder da: meine ungeliebte Rolle und die Erwartungen der Balinesen an einen Touristen. Zumindest ist man in Munduk gerüstet und gut vorbereitet. Anscheinend wird auch hier der erste Ansturm erwartet, der die Wanderer und Trekkingtouristen in die Region bringen soll. Die westlichen Touristen, die Südbali, und besonders Kuta und Ubud mit ihren Way of Life geprägt haben, werden, was sie angerichtet haben, nun langsam müde. Nachdem es sich dort fast wie zuhause leben lässt, steht ihnen der Sinn nach dem nächsten Kitzel.

Sonntag, 22. Januar 2017

Im Schatten des Gunung Lesung


Ich sitze auf dem Balkon und frühstücke, und schaue hinüber zum Gunung Batukaru. Dessen Gipfel ist auch heute wolkenverhangen. Seit ich in Munduk bin, wandern am frühen Nachmittag dunkelgraue und schwarze Regenwolken auf die fünf Gipfel zu, die meinen Blick in alle Richtungen begrenzen. Der Batukaru ist mit 2276 Metern der höchste Berg der Region, ein vor unendlich langen Zeiten erloschener Vulkan. Noch immer profitierten die Bauern von dem fruchtbaren Boden, den er hinterlassen hat. Die Regenzeit in Munduk unterscheidet sich von den berechenbaren Schauern in Pengosekan. In den Bergen regnet es nicht, es schüttet. Täglich mehrmals hintereinander. Dann treibt Wind die Wolken durchs Tal, und hinauf über die Berge. Plötzlich ist alles in undurchsichtiges Grau gehüllt, ein feiner Nebel aus Milliarden winzigen Wassertröpfchen, ein über die Landschaft gesprühter Dunst. Die Sicht beträgt kaum fünfhundert Meter. Dahinter verschwindet alles in den durchziehenden Wolken.
Gestern habe ich den ganzen Tag vertrödelt. Nachmittags sorgte der Regen dafür, dass ich nichts mehr unternehmen wollte. Zimmerarrest!

Samstag, 21. Januar 2017

Agama Tirtha


Ich genieße die Ruhe und entspannte Gelassenheit in Munduk. Die Atmosphäre bildet einen wohltuenden Kontrast. Die Natur hat sich durchgesetzt, und die Urbanität der letzten Wochen auf die Plätze verwiesen. Die hektischen Wochen im Süden verlieren sich in der Erinnerung. Ich vertrödele den Vormittag. Die Tage, die Stunden und die genaue Uhrzeit sind bedeutungslos geworden. Eine ganze Woche hat es die Regenzeit gut mit mir gemeint: es hat kein einziges Mal geregnet. Noch beim Frühstück sieht es nach dem nächsten trockenen Tag aus. Nun regnet es seit zwei Stunden. Mein Spaziergang, den ich heute morgen geplant habe, fließt gerade den Weg hinunter. Zwei Stunden starker Regen hat die Straße vor Edy’s Homestay in einen schnell abwärts strömenden Bach verwandelt. Alles um mich herum ist in einen grauen Schleier aus Wasser gehüllt. Es gießt in Strömen, es plätschert und platscht, es trommelt auf die Wellblechdächer, das Wasser klatscht auf den Boden und in die Pfützen, es tropft und tröpfelt von den Dächern, von den Blättern, es rauscht leise und schwillt an wie ein zorniges Grollen. Schon geht der nächste Schauer nieder. Über den Himmel ziehen dicke, dunkelgraue Wolkenpakete, die das Licht dimmen. Hinter den Berggipfeln verschwinden sie nach Irgendwo. Niemand ist draußen, und die Geräusche der täglichen Aktivitäten sind im Regen ertrunken. Während ich noch schreibe, fahren die ersten Autos schon wieder hupend den Weg hinunter der eben noch ein Bach war. Es regnet weiter, weniger heftig. Der Regen rauscht wie ein Fluss, der über eine Stromschnelle stürzt, aber die Wassermassen, die die Wolken eben auf die Erde schütteten, mäßigen sich inzwischen. Der Himmel ist noch immer dunkelgrau und die Wolken tragen schwer. Es wird noch weiter regnen. Ich bin in unablässigem Strömen gefangen. Alles ist Wasser, und das Wasser macht Bali.

Freitag, 20. Januar 2017

Allgegenwärtig Banten


Ich verabschiede mich von Munduk, und der Himmel weint, weil ich schon gehe. Gute, ereignisreiche Tage gehen im Regen zu Ende.
Eine Reise ist in Bali immer ein Anlass, eines der Opfer darzubringen, die in Bali, wegen ihrer Vielzahl und Variationsbreite, allgegenwärtig sind. Wer ein solches Opfer deponiert, ob bei der Abreise, oder für die sichere Rückkehr, hofft, negative Einflüsse und Gefahren, all die potentiellen Zufälligkeiten auf einer Reise, die man als das Wirken dämonischer, böswilliger oder launischer Kräfte auffasst, abzuwehren oder zumindest zu neutralisieren. Sind solche Ereignisse bereits eingetreten, versucht man sie durch ein Opfer an die Verursacher wieder zu bereinigen. Ob heute für mich jemand ein Opfer darbringt? Sicher opfert meine Gastgeberin für ihren Mann, der mich an die Küste bringt, für seine sichere Hin- und Rückreise. Ihr Schutz schließt mich hoffentlich mit ein.

Für Balinesen ist der Ausgleich zwischen positiven und negativen Kräften existenziell. Der stetige Kampf, wie im Barong-Rangda-Maskentanz, muss ausgewogen sein. Allerdings definiert die balinesische Weltanschauung gut und böse nicht absolut, sondern relativ. Das eine beinhaltet auch das andere: das Gute kann nicht ohne das Böse existieren und umgekehrt. Dieses Gleichgewicht, dem auch Gottheiten und Dämonen unterworfen sind, ist unauflösbar in allem vorhanden, sodass selbst sie durch diese Ambivalenz geprägt sind.
Die Aufgabe der täglich an den entsprechenden Stellen deponierten Opferkörbchen, banten genannt, sorgen für diese Harmonie der sichtbaren (sekala) und der unsichtbaren Welt (niskala).
Die Balinesen teilen sich ihre Welt mit drei nicht-menschlichen und nicht-sichtbaren Mächten, die ihr Leben positiv oder negativ beeinflussen: den verehrten und helfenden Göttern (betara / betari) und Ahnen (pitra) sowie den böswilligen, Schaden verursachenden Dämonen (butakala) oder Hexen (leyak). Die Butakala, so glaubt man, sind das Gefolge der Götter, die deren Strafen ausführen, wenn Menschen sich unangemessen oder nicht regelkonform verhalten. Leyaks, die den Menschen willkürlich schaden, bilden das Gefolge der Rangda, wie in Mythologie, Volksglauben und im Barong-Maskentanz thematisiert.

Donnerstag, 19. Januar 2017

Ein Sitz für Geister


Ich gewöhne mir an, am frühen Nachmittag, zwischen 14 und 15 Uhr, zurück im Homestay zu sein. Wenn der Tag nicht gleich mit Regen beginnt. Den Rhythmus meiner letzten Tage in Munduk bestimmt das Wetter, das in der vergangenen Woche höchst zuverlässig seine täglichen Wassermengen in den Bergen abgeladen hat. Meine Wanderungen im Bergwald werden dadurch zu einem Glücksspiel mit dem Monsun. Ich bin nicht daran interessiert, und halte es auch nicht für abenteuerlich, von einem heftigen Tropenregen am Hang im Wald überrascht zu werden, wenn sich der Weg in einen abwärts stürzenden Fluss verwandelt, der allerlei mit sich führt. Meistens eine gute Entscheidung, denn die Nachmittagsstunden gehören in Munduk der Regenzeit.
An einem halben Tag mache ich keine weiten Wanderungen, allenfalls einen Spaziergang. Viel Neues oder Interessantes ist mir auf diesen kleinen Ausflügen nicht mehr begegnet, aber es sind die Kleinigkeiten und Alltäglichkeiten, die ich spannend finde. Das von Bergen (Gunung Batukaru, 2276 m; Gunung Sangayang, 2093 m;  Gunung Tapak, 1905; Gunung Lesung, 1860 m) eingeschlossene Tal, in dem Munduk liegt, bietet dem Fußgänger, dessen Reichweite begrenzt ist, keine große Abwechselung. Die Wege führen in kurzen Distanzen auf und ab, bieten dafür aber spektakuläre Ausblicke in das Tal, auf einsame Gehöfte, die versteckt im Bergwald liegen, auf kleine Siedlungen, die sich an den Hängen entlang ziehen, und die mehrere Gehöfte zusammenfassen; auf 
im abschüssigen Gelände terrassenförmig angelegte Sawahs, zwischen denen Kokospalmen, Papayabäume und Bananenstauden wachsen.

Mittwoch, 18. Januar 2017

Lovina Revisited


Ich kehre zurück nach Lovina. Nach Nordbali. An die Küste des Laut Bali, der Bali See. Ich erinnere mich daran, bereits einmal hier gewesen zu sein. Aber ich erkenne nichts mehr wieder. Der Ort heißt Kalibukbuk, ein touristisches Zentrum besonderer Art. Verglichen mit dem elaborierten Ubud kommen mir die Gassen und Häuser, die von der breiten, stark frequentierten Durchfahrtsstraße meerwärts abzweigen, natürlicher vor, bescheidener, eben indonesischer. So war Ubud einst auch. Ich besitze Fotografien und kann es daher beurteilen. Aber der Norden ist auch nicht Südbali, denke ich. Das Bali der Nordküste besitzt nicht den bezaubernden Charme, nicht die inspirierende Lebendigkeit und die Fantasien weckende Atmosphäre. Mein erster Kontakt mit dem Süden Balis erschien mir damals völlig irreal. Das intensive Grün der Landschaft, die Farbigkeit der Menschen, die Feuchtigkeit, die fühlbar auf der Haut lag, und die Hitze, die sie trocknete. Ohne es zu bemerken, war in einem Augenblick den Tropen verfallen. Ich fühlte mich in eine Landschaft versetzt, die ich in einem exotischen Film vermute hätte, nicht in der Wirklichkeit. Doch ich war von der Leinwand herabgestiegen und befand mich mitten in einem Traum. Meine zweite Erkenntnis bestand in einer äußerst sensorischen Erfahrung: visuell und gustatorisch. Bali ist bunt, scharf und süß.

Dienstag, 17. Januar 2017

Strandhandel


Ich sitze am Strand, und bewundere den Sonnenuntergang. Der ist berühmt in Lovina, heißt es. Anscheinend nicht in der Regenzeit. Über mir ragt eine gebogene Säule auf, die sich als ein gekrönter Delfin entpuppt, der auf seiner Schwanzflosse steht. Um in herum versammeln sich mehrere kleine, tanzende Delfine. Lovina ist auch berühmt für seine Ausflüge aufs Meer, zu den richtigen Delfinen. Dann stehen Touristen in den Booten, und die Delfine tanzen im Wasser um sie herum. An der Delfinsäule am Strand trifft sich abends die Jugend von Kalibukbuk. Vereinzelte Touristen spazieren zwischen ihnen umher.
Unter tropischer Sonne schmelzen die Tage dahin; Lovina ist fast vorbei, und ich will weiter. Nach Pemuteran. Ein anderes Strandressort: Nachhaltiger Tourismus. Ich bin gespannt.
Ich esse im Restaurant zu Abend. Wieder der einzige Gast, wie so oft. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, in einem anderen Restaurant, spielt eine Band, und alles strömt dorthin. Ein gelungener Abend, für den Besitzer. Western Pop spielen die Jungs. Ganz anständig. Cover-Versionen.