Sonntag, 29. Januar 2017

Tempel, Reis und Rituale


Ich wollte eigentlich schon gestern nach Tegallalang, doch die Bank hat mich zu lange aufgehalten. Anschließend war ich zu träge, um so spät noch aufzubrechen. Von Tag zu Tag wird es heißer und schwüler, Seit drei Tagen hat es nicht mehr geregnet. Ich weiß nicht mehr, wo ich die ganze Flüssigkeit zum Schwitzen hernehme. Ich bezweifele, dass ich so viel getrunken habe. Als ich am späten Nachmittag mein Fahrrad abgebe, sehen Hemd und Hose aus, als hätte man mich mit Wasser begossen.

Von den terrassierten Reisfeldern in Tegallalang heißt es, sie lohnen einen Besuch. Und das Dorf Petulu, mit der Kolonie der weißen Reiherkolonie, liegt am Weg. An der Kreuzung im Süden Ubuds, dort wo es nach Peliatan geht, nehme ich die ansteigende Straße in Richtung Kintamani. So heiß, wie es bereits morgens ist, fällt es mir schwer, mich für eine Bergfahrt zu begeistern. Schon nach dem Frühstück bin ich nass geschwitzt. Doch ich will nicht abreisen, ohne die viel gerühmten Reisterrassen von Tegallalang wiedergesehen zu haben. Trotz allem habe ich Lust aufs Fahrradfahren. Die Steigungen im Süden, vom Meer aus, sind moderat. Immer wieder werden sie von längeren Etappen ohne Steigung unterbrochen, nördlich von Ubud, in die Berge, fehlen diese Atempausen, in denen das Rad von selbst rollt. Wer sich mit dem Schwitzen abfindet, braucht keine besondere Kondition um nach Mas, zur Goa Gajah oder nach Sukawati zu fahren, nach Tegallalang oder weiter nach Tampaksiring sieht das schon anders aus. Ich habe Ubud kaum hinter mir gelassen, als mir das Hemd schon wieder am Rücken klebt.

Gegen neun Uhr sind nur wenig Fahrzeuge unterwegs. Vielleicht gewöhne ich mich allmählich aber auch an die ununterbrochen eng an mir vorbeirauschenden Motorroller und SUV. Aus der Perspektive des Fußgängers erscheint der Verkehr bedrohlicher, als er wirklich ist. Die Balinesen sind gute, sehr defensive Fahrer. Niemand erzwingt die Vorfahrt, keiner will recht behalten und besteht auch nicht darauf, wenn er es einmal hat. Alle bemühen sich um Rücksicht, obwohl die durcheinander wuselnden Fahrzeuge eine andere Sprache sprechen. Der Straßenverkehr ist eine gemeinsame Angelegenheit, aggressives Gehabe ist dem Balinesen fremd.
Die Landstraße steigt und steigt höher und höher. Ich lasse Ubud hinter mir, fahre an Petulu vorbei, bis ich schließlich in Tegallalang ankomme. Die drei Orte gehen ineinander über. Wo einer endet und der nächste beginnt, verkünden quer über die Straße gespannte Transparente: Selamat Datang di . . . Oder: Terima kasih dan Selamat Jalanya. An der Bebauung lässt sich keine Ortsgrenze erkennen. Auf beiden Seiten säumen Läden die Straße wie Perlen auf der Schnur. Wer dachte, jenseits von Ubud sei es vorbei mit dem Warenangebot, sieht sich bitter getäuscht. Es geht nicht nur weiter, sondern erst richtig los. Ein Überangebot an Waren. Wer soll das alles kaufen? Verdient überhaupt noch jemand seinen täglichen Reis auf diese Weise? Es gibt Läden mit Holzschnitzerei: Statuen, anthropomorph und zoomoroph, in allen denkbaren Größen, Möbel für den Gebrauch in der Wohnung, auch abstrakt, als Dekoration. Eine Hand mit nach oben ausgestreckten Fingern, die Handfläche als Sitz, gibt es in so vielen Varianten, dass ich glaube, sie stellt ein Muss für den Touristen dar. Glaswaren in allen Größen, bunte Ampeln und Schalen, mit farbigen Mosaiken verziert. In dem Überfluss versteckt sich die eine oder andere Kunstgalerie. Die meist plakativen, modernen Gemälde, die ausgestellt und zum Kauf angeboten werden, wetteifern in schrillen Farben und Übergröße. Wenig Kunst, viel Handwerk ohne Kunst, meistens von geringer Qualität. Massenware. Airport Art. Auch Nicht-Balinesisches ist im Angebot, meistens Holzskulpturen, die sich durch Einfachheit in Form und Farbe angenehm hervorheben. Religiöse Darstellungen der Papua oder von den Molukken, zum Kunsthandwerk degradiert, stehen am Straßenrand. Ahnenfiguren aus Nias, so zahlreich in Ubud und Umgebung verstreut, dass ich mich frage, ob noch ein paar in Nias übrig geblieben sind. Wahrscheinlich alles Duplikate, denn d
ie meisten Statuen wirkt kopiert und auf alt und authentisch getrimmt. Fake-Antiquitäten in Masse. Die Landstraße hinauf nach Kintamani, die Hauptstraße durch die drei Orte, bildet eine farbige Kulisse, die sich unspektakulär uninteressant präsentiert. Sie bildet die Fassade, die von der balinesischen Vorstellung des ästhetischen Geschmacks eines durchschnittlichen Touristen kündet. Andere Läden gibt es nicht, höchstens eine KfZ-Werkstatt. Zu essen oder zu trinken bekomme ich nichts, aber einen Eindruck davon, wie viele Touristenbusse in der Hauptsaison ihre kaufbereite Fracht auf dem Weg zu den Reisterrassen ausladen.

In Tegallalang raste ich im Schatten eines Waringinbaums. Nass geschwitzt, im Kühlen. Es dauert nicht lange, bis ich friere, und zurück in die Sonne wechsele. Tempel und Waringinbäume bilden in Bali eine Einheit. Der Stamm dieser mächtigen Bäume hat oft einen Umfang von mehr als einem Meter. Seine Luftwurzeln hängen wie ein Vorhang bis herab auf den Boden. Viele Kronen der beeindruckenden Bäume reichen hinüber auf die andere Straßenseite, sodass ein Tunnel entsteht, durch den der Verkehr fließt. Diese Baumriesen wachsen an kraftgeladenen Plätzen. Es wundert nicht, dass dort auch Tempel und Schreine zu finden sind. An dem Tempel in Tegallalang ist ein Schild in balinesischer Schrift angebracht, sodass ich keine Ahnung habe, neben welchem Tempel ich raste. Er wirkt verwaist, die geschnitzte, rotgold lackierte Holztür des inneren Tors ist geschlossen. Die Skulpturen des Kul-Kuls neben dem äußeren, gespaltenen Tempeltor, der Turm, in dem die Schlitztrommeln hängen, haben durch die jahrzehntelange Arbeit von Wind und Regen ihre Individualität eingebüßt. Die Trommeln dienten einst der Information der Dorfgemeinschaft, vor Gefahren, Feuer oder dem Ruf in den Tempel. Nur einer der gusseiserner Torflügel am gespaltenen Tor ist noch vorhanden, von dem anderen fehlt jede Spur. 


Opferritual an einem Tempel in Tegallalng

Vier Hähne und eine Henne mit ihrem Nachwuchs, der um ihre Beine wuselt, suchen den Tempelvorplatz nach Futter ab. Schöne, stolze Hähne, die frei herumlaufen dürfen, und nicht zum Hahnenkampf abgerichtet wurden. Irgendwann, vielleicht wenn Gäste kommen oder ein Fest gefeiert wird, landen auch sie in einem Topf. Unerwartet kommt eine Frau im Sarong von gegenüber zum Tempel. Sie trägt einen fadenscheinigen, farbigen Sarong, um die Hüfte gewickelt einen schmalen Schal. Im Schlepptau hat sie ihren kleinen Sohn, der noch nicht lange laufen kann, in leuchtendes Gelb gekleidet. Auf dem Kopf trägt sie einen großen geflochtenen, viereckigen Korb, bis an den Rand mit kleinen Schalen voller Opfergaben gefüllt. An den Rand hat sie brennende Räucherstäbchen geklemmt, die eine duftende Wolke hinter ihr ziehen. Während der gelbe Junge über den Platz stromert, wo er in jede Ecke schaut, geht die Frau zum Tempeltor. An beide Seiten des Eingangs legt sie eine der kleinen, geflochtenen Schalen aus ihrem Korb ab. Sie sind mit Reis, Früchten und Blüten gefüllt. Dazu legt eins der wohlriechenden Stäbchen, taucht ein Blatt in geweihtes Wasser und murmelt, während sie das Wasser auf die Gaben sprenkelt, ein paar Formeln. Vor dem Waringingbaum, dessen Stamm ein breites, schwarz-weiß kariertes Tuch umhüllt, wiederholt sie ihr Ritual. Noch während sie vor dem Baum steht, machen sich hinter ihrem Rücken die Hühner dreist über die Opfer am Tempeleingang her, zerwühlen sie, scharren sie auseinander, und picken hektisch und futterneidisch das den Göttern geopferte Mahl auf. Die Frau am Waringinbaum lässt das gleichgültig. Sie beendet ihr Ritual, nimmt den Jungen an die Hand, biegt um die Ecke und ist verschwunden. Kaum fünf Minuten später kommt ein Mann im Sarong, um die Hüfte den schmalen Schal, ans Tempeltor. Sein langer, von Öl glänzender Zopf fällt ihm bis auf die Hüfte herab. Mit ruhigen Gesten wiederholt er die beiden Rituale. Für die Hühner ist der Tisch heute festlich gedeckt. So sehr sie sich auch bemühen, an die Opfer im Waringinbaum kommen sie nicht heran, die hängen viel zu hoch für für das flatternde Federvieh.

Währenddessen fließt der Verkehr unbeirrt weiter in Richtung Kintamani. Ich reihe mich wieder zwischen die Fahrzeuge ein, immer noch auf der Suche nach den Reisterrassen, die auf keinem Kalender mit Landschaftsfotografien fehlen. In Südbali verlaufen alle großen Straßen von Nord nach Süd. Das liegt daran, dass sie den zahlreichen, in die gleiche Richtung fließenden Flüsse folgen, die durch tief eingeschnittene Täler aus den Bergen kommen und ins Meer münden. Das hat zur Folge, dass es nur wenige Straßen gibt, die in Ost-West-Richtung verlaufen. Große Umwege sind erforderlich, will man auf eine der parallelen nord-südlich laufenden Straßen wechseln. Ich ahne die Reisfelder rechts und links hinter Häusern, während ich auf einem Kamm bergauf fahre. Ich kann nicht abbiegen und folge, wie ein Schaf in der Herde, den anderen Fahrzeuge weiter der nordwärts führenden Landstraße. Erst am Ortsende biegt plötzlich eine schmale Straße steil nach Westen ab. Hinab ins Flusstal, über eine Brücke, und auf der anderen Seite so steil hinauf, dass ich das Rad schieben muss. Oben angekommen öffnet sich der Blick über die Reisfelder, terrassiert und spektakulär wie erwartet. Die kleine Straße schlängelt sich auf und ab zwischen die Terrassen hindurch, vorbei an Hotels und kleinen Läden. Eine bildschöne Landschaft, aber kultiviert bis in den kleinsten Winkel und für die Ernährung genutzt. Trotz der Mittagshitze arbeiten Männer in den Reisfeldern, pflügen den schlammigen mit motorbetriebenen Handpflügen oder pflanzen die Setzlinge mit geschickten Bewegungen in den Schlamm.

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