Samstag, 14. Januar 2017

Wie alles anfing


Wie hat alles angefangen? Mit mir und Bali, mit Bali und dem Westen? Während ich in Wayans rotem Minibus, unterwegs nach Singaraja bin, erinnere ich mich an den jungen Mann, der mich in der Pura Melanting so offen heraus und berechtigt fragte, als ich ganz allein zwischen den betenden Balinesen im Innenhof der Pura stehe: „What are you doing here?“.
Die Frage, wie auf Bali alles anfing, erfordert eine doppelte Antwort: eine individuelle, die mich allein betrifft, und eine kollektive, meine ganze Kultur betreffende. Und dann versteckt sich in dieser Frage eine weitere, nämlich die nach den Auswirkungen dieses Kontakts zwischen zwei Kulturen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können.
Ich denke an meine erste Reise nach Bali zurück, an die Wochen, in denen ich von der Fremdheit dieser Kultur so fasziniert war, dass ich mich in einem Film gefühlt habe, in dem ich Statist war. Irgendetwas zog mich durch diese Kultur, ich war sprachlos, ein bewusst Handelnder sicher nicht. Dazu war um mich herum alles zu fremd. Verstörender konnte ein Ort nicht sein. Der erste Eindruck verdichtete sich zu Gefühlen und Empfindungen. Konkrete Erinnerungen an Menschen, Ereignisse und Erlebnisse sind mir nicht geblieben. Wenn ich an diese Wochen zurückdenke, schaltet sich vor ein Diaprojektor vor meinem inneren Auge ein. Willkürlich schiebt der Wagen Bilder in den Lichtstrahl des Projektors. Unzusammenhängend und kontextlos, emotional intensiv aufgeladen. Ob es den anderen Touristen auch so ergeht?

Die ersten europäischen Besucher kamen bereits Anfang des 20. Jahrhunderts nach Bali. Ihnen öffnete sich eine völlig neue Welt. Europa zwischen den Weltkriegen, mit vielfältigsten sozialen und wirtschaftlichen Konflikten, den Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs mit Entfremdung und religiöser Desillusionierung. Einen beeindruckenderen Gegenentwurf zu den gesellschaftlichen Bedingungen eines durch Krieg und soziale Krise zerrissenen Europas als die balinesische Kultur, mit ihrer auf Gemeinschaft und Spiritualität fokussierenden Philosophie, war nicht möglich. Der Bann, dem die Besucher Balis immer noch unterliegen, wurzelt in diesem Gegensatz. Der Europäer und die Tropen! Es gibt nur eine Alternative: Er ist ergriffen, begeistert im Wortsinn, oder erschreckt und verstört von all der Fremdheit, die ihn umgibt.

Ein Traum von Bali
Angefangen hat alles mit Wijnand Otto Jan Nieuwenkamp, einem niederländischen Maler und Reisenden, der schon 1903 Nordbali besuchte, in einer Zeit, als der Widerstand der südbalinesischen Fürstenhöfe gegen die holländische Besatzung noch nicht gebrochen war. Den letzten nordbalinesischen Regenten des Fürstentums von Buleleng, I Gusti Made Rai, hatten die Niederländer bereits 1849 entmachtet, und die Kontrolle über Nordbali übernommen.
W.O.J. Nieuwenkamp war sicherlich der erste Bali-Tourist, den die besondere Atmosphäre der Insel nicht mehr losließ. Nordbali 1903 zu bereisen war aufgrund der Stabilität durch die niederländische Kolonialverwaltung möglich geworden. Bali galt zu Nieuwenkamps Zeit aufgund seiner hinduistischen Religion, seines Klimas und der Behauptung, das letzte Paradies zu sein, als lohnend und leicht bereisbar.
Zwischen 1903 und 1937 publizierte Nieuwenkamp seine Reisen in zahlreichen Bildern und Büchern, schilderte die Insel und die Kultur, wie er sie erlebte. Er beschrieb die tägliche Arbeit, Landschaft und Architektur und die religiösen Zeremonien. Schon seinerzeit kamen die ersten Wissenschaftler nach Bali, und Nieuwenkamp befürchtete bereits, der westliche Einfluss zerstöre die Grundlagen der hinduistischen Tradition. Der Mythos Bali wurde damals geboren.
Georg Krause, ein deutscher Arzt, war während des Ersten Weltkrieg, von 1912 bis 1914, als Arzt in Bangli stationiert. Krause war ein begeisterter Fotograf, der aus diesen Jahren ungefähr 4000 Fotografien mit nach Hause brachte. Wie schon vor ihm Nieuwenkamp, war Krause von Bali begeistert. Seine Fotografien zeigten die Naturschönheiten der Landschaft, den Reisanbau, die herrschende Klasse der Fürstenhöfe, Lebenszykluszeremonien, Alltagsszenen des Familienlebens in den Gehöften, der Märkte, des Kunsthandwerks, von Tänzen und Festen. 1920 erschien eine Auswahl, 400 seiner Fotos, in dem Bildband Die Insel Bali in der Reihe Geist, Kunst und Leben Asiens. Kein Jahr später brachte der Verlag eine zweite, gekürzte Auflage mit nur noch 207 Fotografien zu einem günstigeren Preis auf den Markt. In Europa blieb das Engagement Nieuwenkamps und Krauses nicht unerwidert. Sein Versuch, mit seinen Fotografien zu zeigen, wie die ländliche Bevölkerung Balis durch Reisanbau und Kunst versuchte mit dem Kosmos in Harmonie zu leben, weckte das touristische Interesse an Bali. Besonders die freizügig bekleideten Balinesinnen riefen bei den Europäern ein voyeuristisches Interesse hervor, das eine Reisewelle aus dem von sexuellen Restriktionen geprägten Europa ausgelöste. Krauses Fotografien und seine romantisierenden Beschreibungen erschienen den kriegsgeplagten Europäern, als sei das Paradies auf Erden entdeckt worden.

Wer die finanziellen Mittel für die lange Überfahrt mit dem Schiff nach Bali besaß, machte sich neugierig auf den Weg, und traf sich im 1926 eröffneten Bali Hotel auf der Jalan Veteran 3 in Denpasar, dem ersten Hotel in Bali. dort begann der moderne Bali-Tourismus. Das Hotel steht noch immer, nur sein Name hat sich geändert. Jetzt heißt es Inna Bali Hotel.
Unter den ersten Touristen, 
die auf Bali ankamen, und für die Krauses Buch richtungsweisend war, befanden sich auch die niederländischen Maler Walter Spiess und Rudolf Bonnet sowie der belgische Maler Adrien Jean Le Mayeur de Merpres. Mit der Unterstützung des Fürsten von Ubud, Cokorda Gede Agung Sukawati, gründeten Spies und Bonnet die Künstergruppe Pita Maha, die gemeinsam mit balinesischen Künstlern einen neuen Stil in der Malerei entwickelten. 
In den 1930er Jahren war Bali zum begehrten Objekt europäischer Projektionen geworden, ihr erklärtes Südseeparadies, obwohl die Südsee von Bali aus noch weit entfernt war. Die Tourismusindustrie hatte Bali inzwischen zum unberührten Tropeneiland erklärt, geprägt von jungfräulicher Natur, halbnackten Menschen und sexueller Freizügigkeit á la Paul Gauguins Tahiti-Vision. Mit Slogans wie heitere Tage mit braunen Menschen bewarb sie ihre Kundschaft. In den 1930er Jahren war Bali zu einer perfekten Inszenierung geworden. Der Zweite Weltkrieg und die anschließende japanische Besatzung beendeten Ende der 1940er Jahre diese illusionären Träumereien mit Plünderungen, Vergewaltigungen und dem Ende der niederländischen Kolonialzeit.

Der Neuanfang des Bali-Tourismus fällt in die späten 1960er Jahre, als die Hippies die Insel wieder-entdeckten und sich in Kuta ansiedelten. Anschließend kamen die australischen Surfer und Beach Boys an die Strände Südbalis. Zunehmend kam Bali in den Ruf, das australische Mallorca zu sein.
Die Bombenattentate von 2002 und 2005 rissen die Bali-Touristen, die die Insel inzwischen in einen südostasiatischen Ballermann verwandelt hatten, zum zweiten Mal aus ihrem Traum von einer Parallelwelt, in der die Regeln der eigenen Kultur nicht existierten, und in der man die der anderen nicht respektieren muss. Das alte, westliche Wunschbild zügelloser Freiheit zerbombte die Islamistengruppe Jemmah Islamiyah in ihrem Aufschrei gegen die der balinesischen Kultur respektlose westliche Dekadenz der Touristen in Südbali. Das teilweise unappetitlich gewordene Verhalten der Touristen in Kuta ist im Internet ausreichend dokumentiert: Sextourismus, halbnackte Touristinnen an den Stränden, öffentliche sexuelle Handlungen und betrunkene australische Touristen, die grölend durch die Straßen ziehen, haben die Toleranz der Balinesen aufs Äußerste strapaziert. Von vielen Balinesen wurde dieses Verhalten schon längst als Beleidigung empfunden. Mit einem respektvollen Miteinander der Kulturen hatte dass schon lange nichts mehr zu tun.
Seit einigen Jahren ist die Zahl der Touristen wieder im Aufwind, die Buchungen gingen nach den Attentaten nur kurzfristig zurück, Bali bleibt weiter im Trend. Die Nutznießer des Bali-Tourismus rüsteten sich für den nächsten Ansturm. Es heißt aber, dass sich seit den beiden Anschlägen in Kuta das Verhalten der Touristen gemäßigt haben soll. In ihrem Buch Eat, Pray, Love
und der folgenden Verfilmung des Bestsellers, vermittelte die amerikanische Autorin Elizabeth Gilbert (2007)  Bali ein Image als Wellness-Destination. Für dies neue Generation eines gemäßigten Tourismus, gibt es mittlerweile ein umfangreiches und vielfältiges Angebot an Spa-Programmen, Yoga und Meditation, Massagen, Kräuterdampfbädern und ähnlichen Angeboten. So ausufernd wie einst soll auf Bali nicht mehr gefeiert werden.

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