Dienstag, 10. Januar 2017

Der Müll muss weg


Ich sehe einen alten Mann, gebeugt unter der Last eines schweren Sacks, der ihm auf den Rücken drückt. Es ist spät am Nachmittag, und er kommt vom Strand. Er trägt einen Hut aus Bambusstreifen, in der Form eines konischen Deckels, ein schmutziges T-Shirt mit dem Logo des Hard Rock Cafés und eine fleckige, beige Baumwollhose. Der Mann geht barfuß. Der Sack ist ein Plastiksack, gefüllt mit den PET-Flaschen, von denen auf Bali täglich drei Millionen fort geworfen werden. Der Mann bekommt für einen Sack umgerechnet 60 Eurocent. Ein Arbeitsplatz.

Die meisten sehen zu, heißt auch, dass sie alle etwas sehen. Aber auch das Gegenteil trifft zu, dass viele genervt wegsehen, sich aufregen oder versuchen das Problem zu ignorieren. Will der Bali-Urlauber wirklich wissen, welchen Preis die Insel schon heute zahlt? Er will Erholung, Entspannung, Abwechslungsreiches, das ihn seinen Alltag zuhause vergessen lässt, Spaß, Vergnügen, Unterhaltung. Ruhe sanft, Dornröschen, und hoffe, dass dein Prinz verschläft.

Abends muss ich das Fahrrad abgeben. Ich will noch einmal in die Berge. Ein neues Dorf kennenlernen, abseits vom Tourismus. Noch einmal von oben auf das Meer blicken.
Panji ist ein Dorf, das sich entlang einer schmalen Straße immer höher einen Berg hinaufzieht, immer näher auf die schwarzen Wolken zu, die bedrohlich an den Berggipfeln kleben. Solange, bis ich befürchtete, ich komme überhaupt nicht oben an. Dieses Mal war meine Wahl gut, denn die Straße verläuft parallel zur Küstenstraße, nur ganz allmählich bergauf. Irgendwann steigt sie dann doch an, und ich mit ihr, moderat, nie so steil, dass ich absteigen muss. Schon geht es wieder abwärts. An einer Kreuzung, die nördlich zum Strand abzweigt, und südlich nach Panji führt, beginnt das alte Spiel. Kilometerweit klettert die Straße in die Berge und ich kurbelte mich nach oben.
Beinahe schlagartig 
endet der Tourismus südlich das Küstenstraße. Ich fahre durch Dörfer, die ineinander übergehen, an Tempeln vorbei, immer zuerst die Pura Dalem, erst später die Pura Desa. Entlang der Straße reiht sich Laden an Laden, Werkstatt an Werkstatt und Warung an Warung. Der Straße zugewandt, ein buntes Angebot an Artikeln des täglichen Lebens. Nordbali wirkt urban und konsumbereit. Zu den Häusern der Menschen führen rechts und links schmale Gassen. Straßendörfer, kilometerlang. Ich fahre die Steigungen hinauf, hinab in die Flusstäler, über Brücken, und wieder die nächste Steigung hinauf. Ein sich wiederholendes, gleiches Bild. Unmittelbar an der Hauptstraße gelegen, wirken die Dörfer uniform. Eine Fassade für Passanten wie mich. Das Leben findet dahinter statt.
Viele der ohnehin schmalen Flüsse in den engen Tälern führen trotz Regenzeit erstaunlich wenig Wasser. An kleinen Geröll- und Sandbänken, die aus dem Wasser ragen, ist Müll jeglicher Art vor Anker gegangen. Die Menschen neigen anscheinend dazu, ihren Abfall in die einst unberührten Flüsse zu entsorgen. Sie unterscheiden nicht zwischen organisch und nicht-organisch. Reste von Plastik, wohin ich sehe. Keine Brücke ohne das Hinweisschild Dilarang membuat sampah!. Jeder kennt den Spruch: Abfall entsorgen verboten! Die Flüsse spülen den Müll ins Meer, doch das Meer wehrt sich, und wirft den Müll an den Strand zurück. Die Strände von Lovina sind kilometerweit nach Osten und Westen verschmutzt, die im Süden gepflegt. Ich kann mich gut daran erinnern, dass vor zwanzig Jahren kein Müll am Strand gelegen hat, und dass Frauen in den Flüssen ihre Wäsche wuschen, während Kinder durch das Wasser tollten. Inzwischen scheinen die Balinesen ihre Flüsse zu meiden, aus den selben Gründen vielleicht, aus denen ich nicht mehr im Meer schwimmen mag. Und niemand schwimmt mehr im Sungai Wos oder in Sungai Ayung!
An den Straßenrändern, zwischen und außerhalb der Orte, oder auf Plätzen im Ort, wo niemand wohnt, sieht es nicht anders aus. Hier entstehen Miniatur-Müllhalden. Niemand scheint sich verantwortlich zu fühlen. Gelegentlich komme ich an Sammelbehältern vorbei, die aufgestellt, aber nicht abgeholt wurden. Sie laufen bereits über, und der Müll hat sich um sie herum verteilt. Das sind die unangenehmen, in der Hitze stinkenden Plätze, auf denen Hühner und Hunde ihr Futter suchen. In den Ortschaften ist es peinlichst sauber. Nirgendwo sehe ich Müll am Straßenrand liegen. Vor jedem Grundstück wird mehrmals täglich mit dem Reisigbesen gefegt.

Bali hat tatsächlich ein Müllproblem! Ein Umweltproblem! Das tropische Paradies! Der Sehnsuchtsort des Westens! Dort, wo man sich alles anders wünscht, nicht so wie zuhause. Alles ganz anders: heiler, gesünder, idealer. Und nun, die Ernüchterung! Es ist schlimmer als zuhause, wenn auch die Verantwortlichen ihr Möglichstes tun, die Entwicklung aufzuhalten. Doch weder in der Bevölkerung noch in der Tourismus-Industrie scheinen Maßnahmen zu greifen, die Abhilfe schaffen sollen. Nur ein kurzer Blick hinter die Fassade: Das Malheur ist offensichtlich. Nicht nur Südbali, auch Nordbali – ein viel zu großer Teil der Insel ist von Smog, Plastikmüll und Wasserverschwendung bedroht.

Götterthron am Strand von Singaraja
Bali! Die kleine Insel mit schnellem Bevölkerungswachstum, knappen Ressourcen und einem großen Besucherandrang. Umweltschutz und Umweltschutzmaßnahmen fast nicht vorhanden. Von außen kommen die Veränderungen durch den Klimawandel hinzu, die auch Bali nicht verschonen. Der Meeresspiegel steigt, Küstenlandschaften und Strände werden in Mitleidenschaft gezogen.
Die Wasserversorgung ist das zentrale Problem geworden, auf einer Insel, die im naiven Besucher den Eindruck weckt, Wasser ist im Überfluss vorhanden. Überall fließt es, plätschert es, rauscht es. In den Sawahs, am Wegesrand, in den Wäldern und jetzt, in der Regenzeit, auch vom Himmel.
Doch Wasser wird verschwendet. Die großen Hotels verbrauchen täglich 1000 bis 1500 Liter Wasser. Die wachsende Zahl der Golfplätze, auf der trockenen Halbinsel Bukit und bei Nusa Dua, verschärfen die Situation; Abholzung in den Bergen, ohne adäquate Aufforstung, um Bau- und Brennholz zu gewinnen; fehlende Lösungen der Abwasseraufbereitung verschmutzen das Wasser. Immer noch fließen die Abwässer ungeklärt in die Bäche und Flüsse und ins Meer; in den großen Ferienorten angereichert durch die Abwassermengen der großen Hotelanlagen. Die Mangroven im Süden der Insel, bei Benoa, in ihrem Bestand durch Baumaßnahmen bedroht, verlieren ihre Fähigkeit, das ins Meer eingeleitete Wasser zu filtern. Erst in einigen Gegenden funktioniert die Abwasserentsorgung zufriedenstellend. Viele Firmen weigern sich 
noch immer, sich zu beteiligen. Auflagen von Verwaltung und Politik fehlen oder sind unzureichend. Korruption soll eine Rolle spielen.
Wasserverschwendung und Wasserverschmutzung sind nur die eine Seite des Problems. Die im Süden mittlerweile eskalierende Luftverschmutzung die andere Seite. Wanderer, überhaupt Fußgänger, und Radfahrer sind in Bali Exoten, die belächelt werden. Über die man den Kopf schüttelt, und über die man gelegentlich laut lacht. Erschöpft und verschwitzt auf meiner Bergfahrt durch Panji, schlägt mir eine alte Frau lachend vor, ich solle ihr Moped mieten. Dann gehe alles viel schneller! Hat der rivalisierende Wettbewerb des Höher, Schneller, Weiter inzwischen auch Bali erreicht?
Smog ist im Ballungsgebiet zwischen Denpasar, Kuta, Sanur und Ubud alltäglich. Am Straßenrand entlang zu laufen oder mit dem Fahrrad hinter qualmenden, stinkenden LKW oder zwischen Heerscharen von Mopeds und Motorrädern im Stau festzustecken, ist sicherlich nicht die Bali-Erfahrung von der man zuhause schwärmt. Wer sich die Mühe macht, in Südbali auf einen der Hügel zu steigen, kann giftig gelb-braunen Dunst über der Ebene schweben sehen.

Was ist zu tun?

Es gibt vereinzelte Projekte, exotisch, noch nicht mehr als Orchideen, die nachhaltig in die notwendige Richtung weisen. Sie sind ein Anfang, ein Fingerzeig, mehr noch nicht. Das von mir in diesem Blog vorgestellte Global Village Kafé gehört dazu.
Es gibt weitere Projekte sozial- und umweltbewusster Menschen und Initiativen. In Ubud findet man entlang der Hauptstraßen, den Pfaden, denen die Touristen durch die Stadt folgen, Mülltonnen, die Mülltrennung möglich machen: organisch und nicht-organisch. Am Fußballplatz, zentral, unmittelbar an der Monkey Forest Road, findet man die Pondok Pekak Library Learning, wo man seine leeren PET-Flaschen gegen einen geringen Unkostenbeitrag wieder auffüllen kann.
Die vielen Hotels und kleineren Unterkünfte, die diesen Service noch nicht anbieten, müssen endlich dazu übergehen, wiederbefüllbare Wasserkannister in den Zimmern und Ferienwohnungen für ihre Gäste aufzustellen, damit diese nicht, um ihren großen Wasserverlust aufzufangen, täglich gezwungen sind, Trinkwasser in PET-Einweg-Flaschen zu kaufen. Leitungswasser zu trinken, soll in Bali nach wie vor hygienisch problematisch sein. Dies zu ändern, ist ebenfalls ein hilfreicher Ansatz.

In Bali leben die räudigsten „Köter“, die man sich vorstellen kann. In ganz Asien ist die Hundepopulation Balis die verrufendste und gefürchtetste zugleich, inzwischen mit einem außer Kontrolle geratenen Tollwutproblem. Sieht man von den Hühnern in den Massenzuchtbetrieben ab, stehen Hunde am untersten Ende der Mit-Geschöpflichkeit. Nur die wenigsten haben einen Besitzer, niemand gekümmert sich bisher um sie. Balis Hunde sind aggressiv und leiden unter vielen Krankheiten. Das bemerkt zuerst der Fußgänger, der sich nicht schnell genug motorisiert aus dem Staub machen kann. Und die Balinesen? Sie üben sich im freundlichen Ignorieren. Nicht alle Balinesen. Einige Organisationen haben sich dem Problem kranker, unterernährter und verwahrloster Hunde angenommen, das die zuständigen Behörden bis heute nicht bewältigen konnten. Auf Spendenbasis allerdings.
Das Bali Adoption Rehab Center bringt streunende Hunde bei Gönnern unter und betreibt eine mobile Klink für Sterilisationen.
Das mobile Team von Bali Animal Welfare Association führt Tollwutimpfungen durch, organisiert Adoptionen und engagiert sich in der Geburtenkontrolle.
Auch die Yudisthira Swarga Foundation , mit Sitz in Denpasar, hat Programme für Impfungen und Geburtenkontrolle aufgelegt.
Alle drei Organisationen führen umfangreiche Informationskampagnen durch, sodass es den Hunden in Bali zukünftig besser gehen wird.

Die meisten Restaurants in Ubud und Umgebung bieten inzwischen vegetarische und vegane Speisen an; manche haben eine rein vegane Speisekarte. Allmählich breitet sich diese Ernährungsweise über die touristischen Zentren der Insel aus, die durchaus im Einklang und in der Tradition des balinesischen Hinduismus steht, mit Vorstellungen von Seelenwanderung und Wiedergeburt. Den Hühnerfarmen im Kabupaten Tabanan droht so hoffentlich eines Tages das Aus, was immerhin ein positiver Einfluss des Kulturkontakts sein kann. Das die Reinkarnationslehre hier nicht greift, liegt daran, dass die indischen und balinesischen Konzepte doch erheblich voneinander abweichen. In Bali macht sich niemand Sorge, eines schlechten Karmas wegen, als Hund oder Huhn wiedergeboren zu werden.
Biodynamische Landwirtschaft, die ersten Bio-Bauerhöfe sowie die Marke Sari Organic der Subak Sok Wayah in Ubud, sind Projekte wachsenden Umweltbewusstseins.
Im kleinen Urlaubsort Pemuteran, ganz im Westen Balis existieren Projekte zur Rettung der bedrohten Meeresschildkröte und zur Renaturierung der stark gefährdeten Korallenriffe. 
Zugegeben, das meiste geschieht in die touristischen Zentren Balis. Ein wenig, dass der Tourismus zurückgibt. Umweltbewusstssein ist aufgrund der wirtschaftlich viel schwierigeren Lebensbedingungen ohnehin ein Luxus, den sich viele Balinesen gar leisten können. Ein Anfang erst, aber es bewegt sich etwas. Die gleiche Bewegung, die auch anderswo auf der Welt stattfindet, und die in den fünfzig Jahren, die ich überschauen kann, zugenommen hat und stärker geworden ist. Die ökologische, antikapitalistische und Friedensbewegung ist schon lange kein Traum mehr, das zeigt sich auch in Bali. Sie ist Realität. Es geht uns nur zu langsam. Die kleinen, noch unspektakulären Initiativen in Bali sind Teil dieser weltweiten Bewegung, dieser Gegen-Globalisierung von unten.

Den Balinesen, die sich tagtäglich mit ihren Opfern bemühen, das kosmische Gleichgewicht zu sichern, droht ihre ökologische Balance zu entgleisen. Die unreinen, dämonischen Mächte, die sich am Boden aufhalten, bekommen nicht nur die aus natürlichen Materialien bestehenden Opfergaben, sie müssen auch den schwerer verdaulichen Plastikmüll ertragen, der ihnen noch Jahrzehnte lang schwer im Magen liegen wird. Eine Strategie, die nicht aufgehen kann, denn gegenwärtig, so ist anzunehmen, schlagen die Dämonen mit Umweltkatastrophen zurück. Dann verstehen auch die Balinesen, dass man „Geld nicht essen kann“. Es ist fatal, dass der neuen Generation von Dämonen, die auch Bali inzwischen heimsuchen, noch keine Opfer gebracht werden. Opfer ganz anderer Art, als das überlieferte Banten-Ritual.

Wir Touristen sind gefragt, nehmen wir doch für uns in Anspruch, umweltbewusst zu sein. Es ist das Verhalten des Kolonialherren, zu Hause das Klima und die Umwelt zu schützen, und beides in Bali ungeniert zu verbrauchen. Es sind nur Kleinigkeiten, einfache Maßnahmen, die wir daheim in unseren Haushalten schon lange praktizieren: Plastikmüll vermeiden, die stromfressenden, elektrischen Geräte ausschalten oder erst gar nicht einsetzen, weniger benzinverbrauchende Fahrzeuge nutzen um Immissionen zu reduzieren, sparsam mit Wasser umzugehen und den Fleischkonsum einzuschränken. Eigentlich Selbstverständlichkeiten!
Was Bali jetzt bereits braucht, was die Menschen aus beiden Kulturen verstehen müssen, nicht erst morgen oder in einem vagen Irgendwann, ist ein nachhaltiger Tourismus, wie es ihn vielleicht in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts noch gab. Der Fußabdruck, den wir Touristen auf der Insel hinterlassen, muss ein ökologisch sanfter sein. Soviel sind wir unseren Gastgebern schuldig.
Aber es ist zu einfach, und löst nicht das Problem, den Tourismus als Ursache anzuprangern. Das fehlende Umweltbewusstsein, der schnelle Profit, das alles liegt in der Verantwortung der Balinesen. Wie der Tourismus gestaltet wird, wie Angebot und Nachfrage organisiert und kontrolliert werden, entscheiden nicht allein die Touristen, denen nicht jedes, noch so unsinnige Begehren erfüllt werden muss. Wer Bali besucht, muss sich an den ökologischen und kulturellen Bedarf der Insel, an die inzwischen international definierten Standards, anpassen: nicht umgekehrt. Wir sind die Gäste, und müssen uns auch so verhalten. Nicht alles darf für Devisen zu haben, nicht alles erlaubt sein. Das Umweltproblem in Bali ist nicht nur hausgemacht.

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