Freitag, 20. Januar 2017

Allgegenwärtig Banten


Ich verabschiede mich von Munduk, und der Himmel weint, weil ich schon gehe. Gute, ereignisreiche Tage gehen im Regen zu Ende.
Eine Reise ist in Bali immer ein Anlass, eines der Opfer darzubringen, die in Bali, wegen ihrer Vielzahl und Variationsbreite, allgegenwärtig sind. Wer ein solches Opfer deponiert, ob bei der Abreise, oder für die sichere Rückkehr, hofft, negative Einflüsse und Gefahren, all die potentiellen Zufälligkeiten auf einer Reise, die man als das Wirken dämonischer, böswilliger oder launischer Kräfte auffasst, abzuwehren oder zumindest zu neutralisieren. Sind solche Ereignisse bereits eingetreten, versucht man sie durch ein Opfer an die Verursacher wieder zu bereinigen. Ob heute für mich jemand ein Opfer darbringt? Sicher opfert meine Gastgeberin für ihren Mann, der mich an die Küste bringt, für seine sichere Hin- und Rückreise. Ihr Schutz schließt mich hoffentlich mit ein.

Für Balinesen ist der Ausgleich zwischen positiven und negativen Kräften existenziell. Der stetige Kampf, wie im Barong-Rangda-Maskentanz, muss ausgewogen sein. Allerdings definiert die balinesische Weltanschauung gut und böse nicht absolut, sondern relativ. Das eine beinhaltet auch das andere: das Gute kann nicht ohne das Böse existieren und umgekehrt. Dieses Gleichgewicht, dem auch Gottheiten und Dämonen unterworfen sind, ist unauflösbar in allem vorhanden, sodass selbst sie durch diese Ambivalenz geprägt sind.
Die Aufgabe der täglich an den entsprechenden Stellen deponierten Opferkörbchen, banten genannt, sorgen für diese Harmonie der sichtbaren (sekala) und der unsichtbaren Welt (niskala).
Die Balinesen teilen sich ihre Welt mit drei nicht-menschlichen und nicht-sichtbaren Mächten, die ihr Leben positiv oder negativ beeinflussen: den verehrten und helfenden Göttern (betara / betari) und Ahnen (pitra) sowie den böswilligen, Schaden verursachenden Dämonen (butakala) oder Hexen (leyak). Die Butakala, so glaubt man, sind das Gefolge der Götter, die deren Strafen ausführen, wenn Menschen sich unangemessen oder nicht regelkonform verhalten. Leyaks, die den Menschen willkürlich schaden, bilden das Gefolge der Rangda, wie in Mythologie, Volksglauben und im Barong-Maskentanz thematisiert.

Überall in Bali sieht man Vormittags Frauen, seltener Männer, in den Gehöften, den Reisfeldern, auf den Straßen, an Kreuzungen, Brücken oder vor Geschäften, Banken und Verwaltungsgebäuden mit einem Tablett, auf dem sich einige Banten häufen. Sie deponieren diese Opfer auf ihrem morgendlichen Rundgang auf rituelle Weise an verschiedenen Orten. Eine Gabe an ihre unsichtbaren Mit-Bewohner, eine freiwillige Gabe allerdings, die ihre Adressaten nicht verpflichtet, sie zu erwidern. Ein Vertragsverhältnis zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt besteht nicht. Es ist die Hoffnung auf Gegenseitigkeit, die das Banten-Ritual motiviert.

Opferkörbchen (banten) an der Basis eines Göttersitzes

Das Opfer erbittert von Göttern und Ahnen Unterstützung in erwarteten, schwierigen Situationen, oder Hilfe bei bereits eingetretenen Schwierigkeiten. Dämonen opfert man da, wo sie vermutet werden, mit der Absicht, sie zu beruhigen, sie zu bestechen, damit sie von böswilligem Schabernack oder wirklichem Schaden ablassen. Die vielen schwarz und weiß karierten Tücher, mit denen Statuen, Schreine, Sitze oder Waringinbäume eingekleidet sind sowie die Mauern, die den Eingang zum Gehöft zusätzlich versperren, stellen weitere Mittel dar, Dämonen oder andre negative Kräfte in Schach halten. Man glaubt, sie auf diese Weise zu verwirren. In Kedewatan habe ich eine völlig verhüllte Statue auf der linken Seite eines Hauseingangs gesehen, die zusätzlich mit einer eisernen Gliederkette und einem Vorhängeschloss gesichert war. Sie besitzt, so werde ich aufgeklärt, so viel magische Macht (sakti), dass sie auch vorübergehende Passanten, nicht nur die abzuwehrenden Dämonen, durch ihre Schutzfunktion schädigt.
Banten für die Götter und Ahnen legt man immer hoch, dem Himmel nahe, die für die Dämonen auf den Boden oder dorthin, wo man von ihren weiß. Diese Art zu opfern entspricht der Vorstellung reiner (oben) und unreiner (unten) Orte und Existenzen.

Die Opfergaben, die in den kleinen Körbchen liegen, bestehen fast ausschließlich aus natürlichen Materialien, aus Nahrung, die die Balinesen selbst sehr gerne essen, besonders aus Reis, Reisküchlein oder anderen Süßigkeiten, etwas Betel, Früchte, einer geöffneten Kokosnuss, manchmal ein Ei, aber auch im Laden gekaufte, noch in Plastik verpackte Leckereien, ein einzelner Keks vielleicht, dazu ganze Blüten, meistens Frangipani oder Cempaka oder einzelne Blütenblätter, aber auch schon einmal eine antike Kepeng-Münze oder was sonst als angemessen erachtet wird.
Die geflochteten Körbchen, die als Unterlage für die Opfergaben dienen, bestehen aus den Blättern der Kokospalme, und werden von den Frauen selbst hergestellt. Oft sieht man sie bereits früh morgens bei der Flechtarbeit. Schon kleine Mädchen lernen, die kunstvoll gefertigten Körbchen herzustellen, ganz aus der Nachahmung heraus, bis jedes Detail der Arbeit, mechanisch und ritualisiert, wie von selbst von der Hand geht. Jedes Dorf besitzt eigene Formen, Muster und Traditionen, und bei näherem Hinsehen fällt die Vielzahl unterschiedlich geflochtener Körbchen sofort auf. Eine Klassifikation der Formenvielfalt der Körbchen, sowie der in ihnen dargebrachten Materialien, erfordert eine eigene Untersuchung, die sicherlich bereits schon geleistet wurde.
Die Körbchen können aber auch in Läden oder auf dem Markt – im Dutzend und auf Vorrat – eingekauft werden. Immer wieder sehe ich westlich und modern gekleidete und geschminkte Frauen, die mit dem Scooter vorfahren, und mit einem Satz, in eine Plastiktüte verpackte Körbchen am Lenker weiterfahren. Ein tukang banten, der professionelle Hersteller dieser Dutzendware, übt einen angesehenen Beruf aus.

Banten, mit den dazu gehörenden Ritualen, dienen dem Kontakt und der Kommunikation mit der unsichtbaren Welt (niskala), die Teil der Umwelt (sekala) ist, in der die Balinesen leben.
Da das Anbieten von Opfergaben ein Ritual ist, werden sie grundsätzlich mit bestimmten Gesten und Gebeten überreicht. Ist das Körbchen mit den Gaben und einem brennenden Räucherstäbchen an den vorgesehenen Platz gelegt, werden spezielle Handbewegungen (ngayah) ausgeführt. Entweder wird das Räucherstäbchen dreimal mit der rechten Hand, kreisförmig, über das Körbchen bewegt, oder auf ähnliche Weise geweihtes Wasser versprüht. Rauch und Wasser dienen als Trägersubstanz, um die Essenz des Opfers zu übermitteln. Ist das Ritual beendet, verliert das Banten vollkommen seine Bedeutung. Darum spielt es auch keine Rolle, was mit dem Opferkörbchen weiter geschieht – ob Hühner oder Hunde darüber herfallen oder ob im Vorübergehen darauf getreten wird.

Eine einstündige Autofahrt, über Seririt nach Kalibukbuk, und ich bin unversehrt in Lovina, an Balis Nordküste, angekommen.

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